VII - Jorian (1/5)

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Es war warm. Zu warm, wie Jorian dachte, zumindest für die Jahreszeit. Die Sonne stand hoch am Himmel und man hätte fast denken können, der Sommer wäre zurückgekehrt, wären da nicht die goldgelben Blätter gewesen und der frische Wind, der hin und wieder einen kalten Hauch des nahenden Winters mit sich brachte.

Zusammen mit Prinz Aik und Nikia saß er im Ring aus Kirschbäumen, der auf den Hängen rund um den Palast des Morgens stand. Im Licht der Sonne entfalteten die vielen Türme, Häuser und Mauern eine besondere Schönheit, die Jorian zuvor nicht gesehen hatte. Neben ihnen grasten drei Pferde, mit denen sie zu den Kirschbäumen hinaufgeritten waren. Jorian hatte eigentlich nicht gewollt, denn er war noch nie geritten, aber Prinz Aik und Nikia hatten darauf bestanden. Dafür, hatte Nikia ihm angeboten, dürfe er sich das Pferd aussuchen, mit welchem er reiten wolle.

Zusammen waren sie durch die königlichen Stallungen geschlendert, stets in der Begleitung des Stallmeisters, der die Vorzüge dieses oder jenes Pferdes anpries. Zuerst hatte Jorian nach dem Pferd gesucht, welches am dicksten und gemütlichsten aussah. Er ging davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit herunterzufallen dann am geringsten sein würde. Doch dann entdeckte er ein Pferd, das seine Suche auf einen Schlag beendete. Das Pferd war weiß und schön und Jorian kannte es bereits. Es war das Pferd, welches er auf der Reise zum Schloss im Wald geheilt hatte. Überrascht war er an den Stall getreten und hatte die Hand nach dem Pferd ausgestreckt und zu seiner Überraschung machte es ein paar Schritte auf die niedrige Tür des Stalles zu und ließ sich von ihm streicheln.

»Ist das Euer Pferd?«, hatte er Prinz Aik gefragt.

»Ich denke schon«, hatte Aik geantwortet und das Pferd betrachtet, als wolle er sich an etwas erinnern. »Ach ja, ein Adliger hat es uns bei seinem Besuch als Geschenk überreicht. War es nicht krank?«, fragte er zum Stallmeister gewandt.

Der Stallmeister hatte gedankenverloren neben ihnen gestanden. Als er merkte, dass er angesprochen wurde, zuckte er erschrocken zusammen.

»Wie?«, fragte er, während sich die Frage den Weg in sein Bewusstsein zu bahnen schien, »Äh, ja, krank, natürlich, mein Prinz.«

Erst jetzt schien er zu realisieren, über welches Pferd gesprochen wurde.

»Faule Hufe! Aber wir haben es gesund gepflegt und jetzt ist es ein ziemlich schneller Renner.« Er überlegte kurz. »Vielleicht, mit ein wenig Übung, könnte es zum schnellsten des ganzen Stalles werden.«

»Ich nehme es«, hatte Jorian gesagt, bevor Nikia oder der Prinz sich in Anbetracht der Versprechungen des Stallmeisters vor ihm für das Pferd entscheiden konnten.

»Sehr gut«, sagte der Stallmeister, verbeugte sich und wies einen Stalljungen an, das Pferd zu satteln. »Es heißt Nereida. Aber sie lässt sich nicht gerne reiten, seid also vorsichtig.«

Aber wie sich herausstellte, fiel das Reiten ihm deutlich weniger schwer, als er es erwartet hatte. Bereitwillig ließ er sich von Nikia zeigen, wie er die Zügel halten musste und wie er Nereida zu verstehen gab, in welche Richtung er wollte.

Nikia nickte anerkennend, als sie seine ersten Versuche vom Rücken ihres schwarzen Pferdes beobachtete.

Zu seiner Überraschung schien das Reiten Prinz Aik Probleme zu bereiten. Auf dem großen braunen Pferd, welches er sich für den Ausritt ausgesucht hatte, wirkte er klein und hilflos und so benahm er sich auch. Sein Pferd fügte sich nur widerwillig seinem Willen und bis sie die Straßen durchquert hatten und die freien Wiesen erreichten, kamen sie nur langsam voran. Es dauerte eine Weile, bis sie an der Kuppe mit den Kirschbäumen ankamen.

Jetzt saßen sie hier oben und blickten hinunter zum Schloss. Jorian fiel auf, dass er bisher kaum einen Fuß aus dem Schloss gesetzt hatte. Seine Haut war blass und ein wenig hatte er das Gefühl, Staub angesetzt zu haben, wie die Bücher, mit denen er sich die ganzen Tage beschäftigte. Es tat gut, an der frischen Luft zu sein, und beinahe hätte er für eine Weile seinen Auftrag vergessen können. Beinahe, denn auch von dem Platz, wo sie saßen, konnte er die Bibliothek sehen. Wenn man sie von außen betrachtete, mit ihren großen Fenstern, ihren hellen Mauern und ihrem rot-goldenen Dach, dann verriet nichts, was für ein verschlungenes Labyrinth sich im Innern verbarg. Aber das schöne Äußere konnte Jorian nicht darüber hinwegtäuschen, dass er eigentlich dort drinnen und nicht hier draußen sein sollte. Die verlorene Zeit wurde mehr und mehr und mit ihr wuchs auch die innere Unruhe, die ihn von hier weg und zurück in die Gänge drängte, zurück zu den Büchern, zu dem einen Buch, das er immer noch finden musste.

Als er einen Seufzer ausstieß, kicherte Nikia neben ihm.

»Was ist los, Jorian?«, fragte sie mir ihrer neckischen Stimme, die sie des Öfteren anschlug, wenn sie mit ihm sprach. »Hast du Kummer?«


Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt