IX - Elno (4/5)

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Er sah, wie von innen die Türklinke heruntergedrückt wurde. Die Tür öffnete sich und das Licht einer Kerze blendete ihn. Er machte einen ungeschickten Schritt nach hinten und wäre fast gestürzt, als er über seine eigenen Füße stolperte.

»Was stehst du denn hier im Dunkeln?«

Zu Elnos Erleichterung war es tatsächlich Finiel. Sie packte ihn an der Schulter und zog ihn ins Zimmer.

Als sie die Tür geschlossen hatte, atmete Elno erleichtert auf und für einen Moment fühlte es sich an, als ob er das Schlimmste überstanden hatte.

»Gut, dass du endlich kommst, ich dachte schon, du wärst eingeschlafen.«

Elno schüttelte den Kopf.

»Die anderen waren lange wach.«

Finiel nickte.

»Hat bei mir auch eine Weile gedauert.« Sie stellte die Kerze auf einen kleinen Tisch und Schatten huschten flackernd über ihr Gesicht.

»Aber jetzt sind wir ja beide hier.« Sie warf Elno einen Blick zu und er hatte den Eindruck, dass Unsicherheit darin lag.

»Ziehen wir das durch?«, fragte sie ihn.

Elno nickte.

»Gut«, antwortete Finiel mit festerer Stimme. »Dann auf!«

Sie verließen die Kammer. Zu Elnos Überraschung nahm Finiel die Kerze mit.

»Sollen wir sie nicht ausmachen?«, wisperte er ihr zu.

»Na, wie sieht das denn aus, wenn wir dann zufällig jemanden treffen? Dann denkt ja gleich jeder, dass wir was ausgefressen haben«, antwortete sie, aber sie schirmte das Licht der Kerze mit der Hand ab und sie erhellte nur noch die unmittelbare Umgebung.

Elno dachte, sie würden zum Eingangsportal gehen, doch Finiel schlug einen anderen Weg ein.

»Wo gehen wir hin?«, fragte er, aber Finiel antwortete nicht. Ungehalten gab sie ihm ein Zeichen, leise zu sein. Der Weg durch die Gänge des Hauses kam Elno ewig vor. Finiel führte ihn in einen Teil des Hauses, den er nicht kannte und schließlich erreichten sie eine kleine Seitentür. Von draußen konnten sie das Brüllen des Sturmes hören. Als sie die Tür erreichten, atmete Finiel erleichtert auf.

»So, ich denke, den Teil haben wir«, sagte sie fast in normaler Lautstärke. Sie waren schon eine Weile an keiner Tür mehr vorbeigekommen und der Teil des Hauses wirkte sehr verlassen.

»Und um auf deine Frage zu antworten: Das große Portal wird nachts verschlossen, da wären wir nicht rausgekommen.«

Sie deutete nach vorn.

»Diese Tür lässt sich nur von innen öffnen und ist nie verschlossen.«

Elno betrachtete die Tür.

»Wie kommen wir wieder rein?«

»Ja, das ist ein kleiner Haken am Plan. Wir müssen sie blockieren und hoffen, dass niemand auf die Idee kommt, nachzuschauen, ob sie offen ist. Und wir müssen schnell sein, sonst läuft hier bei dem Wetter alles voll Wasser.«

Sie griff in ihre Manteltasche und holte einen alten Lappen hervor. Elno betrachtete ihn. Die Vorstellung, der Lappen sei das Einzige, was sie davor bewahrte, ausgeschlossen in Sturm und Regen ausharren zu müssen, behagte ihm gar nicht.

Wir haben wohl keine Wahl, dachte er.

»Jetzt muss es schnell gehen«, sagte Finiel. »Wir gehen raus, rufen unsere Drachen und fliegen direkt zum Übungsplatz. Dann laufe ich zum Schuppen und hole die Waffen, du hältst Wache. Wenn du etwas siehst, egal was, dann rufst du ›Keko‹, verstanden?«

»Keko?«, fragte Elno.

Finiel zuckte mit den Schultern.

»Oder was auch immer. Nur bitte nicht meinen Namen.«

Sie atmete tief ein.

»Bereit?«, fragte sie und ihre Hand legte sich auf den Türknauf.

Elno nickte. Sein Mund war zu trocken um zu antworten.

»Los!«

Finiel löschte die Kerze und stellte sie etwas abseits auf den Boden, dann öffnete sie die Tür. Augenblicklich schleuderte der Wind den Regen in den Gang und ihre Gesichter. Elno hastete hinaus und Finiel folgte ihm. Sie hantierte kurz an der Tür, die dabei war, sich wieder zu schließen, doch der Lappen verhinderte, dass sie ins Schloss fiel. Es war eiskalt und nach wenigen Augenblicken war er völlig durchnässt.

»Briesene!«, rief Finiel laut und auch Elno tat es ihr gleich.

»Miro!«

Nichts passierte. Panik stieg in Elno auf. Vielleicht kommen sie nicht, schoss es ihm durch den Kopf. Entsetzt warf er Finiel einen Blick zu. In Dunkelheit und Regen konnte er sie kaum erkennen und es fiel ihm schwer, überhaupt die Augen offenzuhalten, aber er konnte ihre Unruhe spüren. Es kam Elno wie eine halbe Ewigkeit vor, doch dann tauchte unvermittelt Finiels Drache vor ihnen auf. Durch den Regen hatten sie sie nicht kommen sehen. Ihr Fell war völlig durchnässt und sie warf Finiel einen unzufriedenen und verärgerten Blick zu, doch ließ sie sich von ihr beruhigend den nassen Kopf tätscheln.

»Was ist mit Miro?«, schrie Finiel durch den Sturm zu Elno.

»Ich weiß nicht!«, brüllte Elno zurück. Dann versuchte er es erneut.

»Miro!«, rief er laut. Sie warteten, doch nichts geschah. Miro kam nicht.

»Egal!«, rief Finiel. »Du reitest mit mir!«

Umständlich kletterte sie auf Briesenes nassen Rücken. Briesene schien es gar nicht zu gefallen, als Finiel Elno hinter sich heraufzog, doch sie wehrte sich nicht.

Es fühlte sich an, als hätte Elno sich auf einen nassen Teppich gesetzt. Seine Hose, die zumindest noch ein wenig trocken gewesen war, sog sich mit Wasser voll. Instinktiv schlang er die Arme um Finiel und drückte sich an sie, um ein wenig Schutz vor dem Regen zu haben. Finiel berührte seinen Arm und die Berührung beruhigte ihn. Kurz darauf hoben sie ab.

Sie kamen nur sehr langsam voran. Der Sturm machte auch Briesene zu schaffen. Immerhin ist sie gekommen, dachte Elno. Was war nur mit Miro? Lag er irgendwo an einem trockenen Plätzchen und wollte nicht hinaus in den Sturm? Einmal versuchte Elno einen Blick an Finiel vorbeizuwerfen, doch der Regen peitschte ihm so ins Gesicht, dass er nichts sehen konnte. Dann spürte er, wie sie ihre Richtung nach unten änderten und kurz darauf landeten sie. Er schirmte seine Augen ab und versuchte sich zu orientieren. Sie waren im Schutze einer Mauer gelandet, direkt auf dem Übungsplatz des Heims von Vuete. Nervös ließ er seine Blicke über den Platz wandern, doch er sah nichts. Auch uns wird niemand sehen, dachte er mit einem Hochgefühl. Finiel löste seine Hände, die er vor ihrem Bauch zusammengeklammert hatte, dann rutschte sie vom Drachen hinunter.

»Denk dran!«, rief sie laut, »Wenn du was siehst, dann ruf ›Keko‹!«

»Ja!«, rief Elno. Doch er wusste, dass es sinnlos sein würde. Er konnte kaum etwas erkennen und würde jemanden erst bemerken, wenn er wenige Schritte von ihm entfernt auftauchen würde und selbst wenn er dann rufen würde, um Finiel zu warnen, dann würde sie ihn nicht hören. Sie schaute ihn noch einmal an, dann lief sie los, hin zu einer Stelle auf dem Platz, die im Dunkeln lag. Elno starrte ihr hinterher. Die Zeit schien sich auszudehnen. War sie schon lange fort? War etwas geschehen? Ängstlich rutschte er auf dem Drachen hin und her und Briesene drehte den Kopf, um ihm einen missmutigen Blick zuzuwerfen, aber Elno sah nichts. Dann sah er die Umrisse einer Gestalt auf sich zukommen. War es Finiel?

»Keko«, rief er laut, und dann noch einmal, so laut er konnte, »Keko!«

Es war Finiel. Sie hatte zwei Schwerter an sich gepresst und Regen und Sturm zum Trotz grinste sie, als sie den Drachen erreichte.

»Jetzt bloß weg hier!«, sagte sie, gab Elno die Schwerter und kletterte wieder auf Briesenes Rücken. Elno presste die Schwerter mit einem Arm an sich, den anderen schlang er erneut um Finiel. Hoffentlich reißt der Wind mich nicht herunter, schoss es ihm durch den Kopf.

Dann geschah etwas.


Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt