V - Jorian (3/4)

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Die Achse der Kutsche brach in der Mitte durch. Jemand stieß einen spitzen Schrei aus. Gepäck rollte vom Dach der Kutsche herunter auf diejenigen, die hinter der Kutsche standen. Wieder schrie jemand auf und Jorian sah, wie jemand hinter der Kutsche hervorgetaumelt kam. Er hielt sich den Kopf, stöhnte und torkelte zur Seite, wobei er mit dem widerborstigen Pferd und seinem Reiter zusammenstieß. Das Pferd bäumte sich auf und machte ein paar Sätze mitten in die Reisegruppe hinein. Panik entstand, Menschen rannten durcheinander, schrien und riefen. Der Mann auf dem Pferd versuchte mit einigen schneidenden Gertenhieben sein Pferd unter Kontrolle zu bringen, doch ohne Erfolg. Es bäumte sich abermals auf, der Reiter versuchte sich verzweifelt zu halten, schaffte es aber nicht. Er stürzte aus dem Sattel, gab einen Schrei von sich und landete auf der schlammigen Straße. Das Pferd machte noch ein paar Sätze durch die Gruppe, dann jagte es in den Wald hinein.

»Mein Pferd!«, brüllte der Mann, der sich schon wieder erhoben hatte. »Mein Pferd!«

Wieder ertönte ein Schrei von hinter der Kutsche.

»Er ist verletzt! Hiogim ist verletzt!«

»Das Pferd!«, rief Luk, »Fangt das Pferd wieder ein!«

Einige der Reisenden liefen tatsächlich in den Wald hinein hinter dem Pferd her. Auch Jorian rannte los, obwohl er es für eine absurde Idee hielt, als Erstes nach dem Pferd zu suchen. Doch er hätte auch nicht gewusst, was er sonst hätte tun sollen. Kopflos stolperte er in die Richtung, in welcher er das Pferd vermutete. Nur am Rande registrierte er, dass es aufhörte zu regnen. Um sich herum hörte er Holz und Äste knacken, das aber nach und nach leiser wurde. Keuchend verlangsamte er seine Schritte.

Er war in eine Art Panik geraten, doch jetzt, wo er außer Puste war, kam er langsam wieder zur Besinnung. Er sah sich um und für einen kurzen Moment verlor er die Orientierung. Dann sah er die Straße, wo jemand damit begonnen hatte, Fackeln zu entzünden. Eine gute Idee. Irgendwo etwas weiter weg von ihm, hörte er, wie andere durch das Holz trampelten. Dann hörte er noch etwas. Es klang wie ein panisches Schnauben und kurz danach knackten Äste und es raschelte.

Jorian folgte dem Geräusch und nachdem er um ein dichtes Gebüsch herumgelaufen war, sah er es.

Er hatte das Pferd gefunden.

Jorian kannte sich nicht mit Pferden aus, aber das brauchte er auch nicht, um zu erkennen, was passiert war. Das Pferd war offensichtlich gestürzt und hatte sich verletzt. Eine Flanke war von einem Ast aufgerissen und blutete, schlimmer aber war, dass es sich unübersehbar ein Bein gebrochen hatte. Sein hinterer rechter Huf stand in einem unnatürlichen Winkel ab. Trotz allem versuchte das Pferd aufzustehen. Jorian sah den Schmerz und die Angst in den Augen des Tieres.

Vorsichtig machte er einen Schritt näher. Das Pferd sah ihn an und versuchte, von ihm wegzukommen, schob sich aber nur hilflos über das Geäst am Boden.

»Schhhh!«, machte Jorian, ohne zu wissen, ob dieses Geräusch irgendetwas Beruhigendes für das Pferd hatte, doch blieb er vorsichtshalber stehen. Er wusste, dass das gebrochene Bein das Todesurteil für das Tier bedeutete. Wenn die anderen es hier fanden, dann würden sie es töten. Jorian sah auf das zerschundene Fell, wo der Mann es mit der Gerte geschlagen hatte. An manchen Stellen hatten sich bereits dunkle Krusten gebildet. Das Pferd beruhigte sich etwas, zumindest gab es den Versuch auf, von Jorian wegzukommen. Jorian betrachtete es hilflos.

Und dann, ganz plötzlich, wusste er, was er tun musste. Ein Schauer lief ihm über den Körper. Noch einmal überlegte er, dann hatte er sich entschieden. Er sah sich um und prüfte, ob ihn jemand beobachtete oder sich ihm näherte, doch er sah niemanden. Oder war da doch ein nahes Knacken gewesen? Er lauschte mit klopfendem Herzen. Wenn er noch lange warten würde, dann würden sie ihn hier finden und das Pferd töten. Es musste sofort gehandelt werden oder aber gar nicht.

Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt