Elno riss die Augen auf und machte einen erschrockenen Schritt zurück. Er spürte, wie Finiel ihn am Arm packte, als wollte sie ihn festhalten. Sie zog ihn nach hinten und machte ihrerseits einen Schritt nach vorn. Es wurde still. Der Bürgermeister blickte verdattert von einem zum anderen und machte den Mund auf und zu, während seine Begleiter schweigend und mit finsteren Gesichtern am Eingang des großen Zeltes standen. Die Frau in der prächtigen Rüstung wirkte ebenfalls überrascht. Sie warf einen interessierten Blick zu Elno und lächelte. Es schien, als begänne die Situation erst jetzt interessant für sie zu werden.
Die Frau im weißen Mantel zog die Augenbrauen zusammen und ihr freundliches Gesicht wurde ernster.
»Nein«, sagte Girion.
Lorwick funkelte ihn an.
»Wenn es stimmt, was Euer Herr über ihn geschrieben hat, so wird der König ihn sehen wollen«, stieß er hervor und Elno spürte, wie schwer es ihm fiel, ruhig zu bleiben.
»Dann richtet Eurem König aus, dass er in Athea jederzeit willkommen ist, Elno zu besuchen«, antwortete Girion. Seine Stimme war immer noch ruhig, doch auch in ihr deutete sich innere Anspannung an.
Siero Lorwick bewegte sich nicht viel, es war nur ein kaum sichtbares Verlagern des Gewichts, eine kleine Bewegung im rechten Arm, aber Elno erkannte, dass er sich auf einen Kampf einstellte. Ein Rascheln ging durch die Umstehenden, denn auch die Drachenreiter, die mitgekommen waren, änderten ihren Stand. Die blonde Frau, immer noch lächelnd, stemmte beide Hände in die Hüften und ließ ihren Blick über die Anwesenden gleiten.
»Ich bleibe!«
Ohne zu wissen, was er tat, riss er sein Schwert hervor und machte einen Schritt an Finiel vorbei nach vorn.
Als wäre dies das Zeichen gewesen, zogen auch die anderen Drachenreiter ihre Schwerter. Siero Lorwick zog mit einer schwungvollen Bewegung sein Langschwert. Es sah aus, als wolle er sich auf alle Drachenreiter auf einmal stürzen und Elno kamen sie ganz klein und schwächlich vor im Vergleich zu seiner massigen Gestalt.
»Natürlich bleibst du«, sagte mit einem Mal eine Stimme. Die junge Frau mit den langen braunen Haaren war nach vorn getreten. Sie musterte Siero Lorwick und Elno hatte den Eindruck, als müsste sie zwei Bilder in Einklang bringen, die nicht zusammenpassten.
»Die Befehle des Königs waren klar und sie beinhalteten nichts davon, dass wir diesen Jungen mitbringen.« Sie ließ ihren Blick über die Drachenreiter gleiten.
»Und sicherlich wollen wir keine Feindschaft mit Euch«, sagte sie zu Girion gewandt. »Ich denke vielmehr, dass ein Dank angebracht ist.«
Mit diesen Worten machte sie ein paar Schritte zu Elno herüber, ergriff seine linke Hand, ging in die Knie und drückte sie kurz an ihre Stirn.
»Mein Name ist Turill von Solwig«, sagte sie mit feierlicher Stimme, »Abgesandte des Königs Agreon Rasgalian und ich richte euch seinen höchsten Dank für die Rettung seines Sohnes aus. Mit seiner Rettung hast du dem Freien Reich einen großen Dienst erwiesen. Sei dir versichert, dass du in Ijaria jederzeit willkommen bist, wenn du uns einmal besuchen möchtest. Die Tore der Stadt und des Palastes werden dir jederzeit offenstehen.«
Während sie sprach, schaute sie Elno direkt ins Gesicht und Elno spürte, dass sie keine schlechten Absichten hatte. Mit einem Mal kam er sich lächerlich vor mit seinem Schwert in der Hand. Sein Arm sackte herunter und fast hätte er es fallen lassen.
»Danke«, sagte er, mit dem Eindruck, dass seine Antwort nicht angemessen war nach der feierlichen Ansprache.
Die junge Frau lächelte, dann erhob sie sich wieder. Sie blickte zu Siero Lorwick. Der schaute sie einen Moment wütend an, ganz so, als missbilligte er ihr Handeln, dann schnaubte er und schob sein Schwert zurück in die Scheide.
»Mein Pferd!«
Mit diesen Worten drehte er sich um und stapfte in die Richtung, in welche der Junge die Pferde gebracht hatte. Er war dabei, sie mit Hafer zu füttern und machte sich jetzt eilends daran, sie Siero Lorwick entgegenzubringen. Turill von Solwig verabschiedete sich mit ein paar weiteren Worten des Dankes von Girion, der sich seinerseits freundlich und höflich von ihr verabschiedete. Dann ging auch sie davon und auch die Drachenreiter zogen sich zurück. Der Bürgermeister, der die Szenerie zuletzt schweigend und mit weit aufgerissenen Augen verfolgt hatte, schien sich wieder zu sammeln.
»Aber...!«, rief er laut und lief hinter Girion her. »Ihr werdet Euch doch sicher noch stärken wollen, bevor Ihr umkehrt? Ich habe alles vorbereitet, wer konnte so etwas ahnen!«
Girion, der anscheinend seine Fassung wiedergewonnen hatte, blickte ihn lächelnd an.
»Das werden wir«, sagte er und daraufhin verschwanden einige der Drachenreiter im Zelt.
Siero Lorwick, Turill und der Prinz trafen ihre letzten Vorbereitungen. Nur die Frau mit den blonden Haaren und der prächtigen Rüstung stand noch da und musterte Elno mit halb amüsiertem, halb interessiertem Blick und schließlich kam sie zu ihm herüber. Finiel, die immer noch bei Elno stand, trat noch näher an ihn heran. Die Frau merkte es, doch hob sie beschwichtigend die Hand.
»Ich will nicht kämpfen.«
Ihre Stimme klang ernst und freundlich zugleich, doch lag auch eine gewisse Kälte darin, die Elno unbehaglich war. Er wusste nicht, was er von der Frau halten sollte. Kurz vor ihm blieb sie stehen und betrachtete ihn wieder und dann musterte sie auch Finiel. Wie schon bei Lorwick kam Elno sich mit einem Mal schrecklich klein vor, als sie in der großen und prächtigen Rüstung vor ihnen stand.
»Ihr seid sehr mutig«, sagte sie plötzlich. »Ich respektiere das sehr.«
Elno schaute an ihr hoch und betrachtete ihre Rüstung. Auf den weißen Schulterstücken war ein rotes Abzeichen gemalt, ein Herz, durch welches ein ebenfalls rotes Schwert gestoßen war. Er erinnerte sich an die durchstoßene Schneeflocke auf der Schulter von Siero Lorwick, die ihm schon bei seinem ersten Zusammentreffen aufgefallen war. Wer waren diese Leute, dachte er. In Zukunft würde er bei Gimla besser aufpassen müssen, schärfte er sich ein. Dann fiel ihm auf, dass er die Frau schon eine Weile anstarrte und blickte ihr erschrocken ins Gesicht. Doch sie schien in keiner Weise verwundert oder verärgert zu sein, im Gegenteil.
»Falls du es dir einmal anders überlegen solltest, bei uns ist es auch nicht schlecht«, sagte sie lächelnd. Sie nickte ihnen zu und drehte sich dann zum Gehen. Elno blickte ihr noch eine Weile nach. Neben ihm schüttelte Finiel sich.
»Sie hätte uns den Kopf abgeschlagen, wenn sie gemusst hätte, ohne zu zögern.«
Elno nickte.
»Lass uns ins Zelt gehen, Girion will sicher mit uns reden.«
Einen Moment schaute Elno noch hinter den vier Reitern her. Prinz Aik drehte sich noch einmal um und winkte ihm und Elno winkte zurück. Dann trabten sie los und Elno ging mit Finiel zurück ins Zelt.
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Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sich
FantasyEntdecke den Untergang Ijarias - Ein episches Abenteuer voller Mut, Magie und Freundschaft! Ein dunkler Schatten zieht auf über Ijaria, der prachtvollen Hauptstadt des Freien Reiches, und das Schicksal von drei jungen Helden steht auf dem Spiel. Eln...