VII - Jorian (4/5)

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Jorian hatte den Eindruck rot zu werden und wandte schnell den Kopf ab. Die Frage kam so überraschend, dass es ihm nicht gelang, seine erschrockene Reaktion zu verbergen. Er hoffte nur, dass die anderen es nicht bemerkten.

»Ich weiß nicht«, antwortete er schnell, vielleicht etwas zu schnell. Tatsächlich hatte die Antwort des Prinzen auf die Frage, wie gefährlich es sein konnte zu zaubern, wenn man es nicht konnte, ihn verunsichert. Er dachte an das Pferd, das er gerettet hatte und fragte sich, wie knapp er wohl daran vorbeigekommen war, ihm noch mehr Schmerzen zuzufügen, oder es sogar zu töten.

»Ach, komm schon, Jorian«, bohrte Nikia nach, die anscheinend gemerkt hatte, dass er der Frage ausgewichen war, »würdest du es ausprobieren oder nicht?«

»Ich denke nicht«, antwortete Jorian, dieses Mal etwas fester. Er hoffte, die Antwort würde sie langweilen und sie würde das Interesse verlieren. Und so war es auch. Nikia fixierte ihn noch einen Moment, dann grinste sie ihn an und wandte sich wieder zum Prinzen.

»Aber bei der Feier für deine Großmutter wirst du uns etwas zeigen?«

Prinz Aik nickte.

»Wenn ihr wollt, könnt ihr gerne dabei sein. Es wird eine große Feier.«

Jorian behagte der Gedanke gar nicht. Wenn Prinz Aik nur im Beisein der Maegri zaubern durfte, dann würden auch sie bei der Vorführung anwesend sein und eine Begegnung, selbst auf einige Entfernung, wollte er auf jeden Fall vermeiden. Auch wenn Prinz Aik nichts von seinem eigenen Zugang zur Magie bemerkt hatte, hieß das nicht, dass es die Maegri nicht taten. Vielleicht hatten sie spezielle Wege, etwas über andere herauszufinden, etwas, das auch Maegro Kallvas gegenüber Jorian angewandt hatte. Doch bevor er mit einer Ausrede antworten konnte, die in gewisser Weise sogar der Wahrheit entsprach, dass er sich nun bald wieder voll auf seine Arbeit konzentrieren würde, antwortete Nikia für ihn mit.

»Ja!«, rief sie und klatschte in die Hände, »Wir kommen! Wir kommen zusammen zu deiner Aufführung, nicht wahr, Jorian?«

Jorian hörte sich »In Ordnung« antworten, bevor er einen klaren Gedanken gefasst hatte. Über sich selbst verwundert, sah er zu Prinz Aik und dann zu Nikia. Er musste feststellen, dass es ihm schwerfiel, sie zu enttäuschen. Als er die Vorfreude in Nikias Gesicht sah und hörte, wie Prinz Aik auf Nikias und seine Zusage mit »Wunderbar!« antwortete, hatte er plötzlich ein warmes Gefühl, das ihn für einen Moment die Angst vor den Maegri vergessen ließ.

Prinz Aik stand auf.

»Ich denke, ich sollte meine Großmutter begrüßen. Sie ist sonst schrecklich ungehalten.«

Jorian sah ihn an. Die Stimme des Prinzen hatte wieder ihren gewohnten unbekümmerten Klang angenommen. Auch er und Nikia standen auf. Jorian beobachtete Aik, wie er umständlich versuchte, sich in den Sattel seines Pferdes zu ziehen, bis Nikia ihm schließlich dabei half. Ihm selbst glückte es direkt beim ersten Versuch und ein wenig war er stolz auf sich.

Nikia ritt voraus und sie folgten ihr zurück ins Tal, wo die Reisegruppe bereits durch das Tor des Palastes eingefahren war.

Als sie sich den Höfen um den Palast herum näherten, war der ungewöhnliche Betrieb nicht zu übersehen. Menschen rannten hierhin und dorthin, trugen Kisten, zogen kleine Karren und riefen sich gegenseitig an, man solle ihnen Platz machen. Prinz Aik bekam, kaum dass sie in Sichtweite der Tore waren, zwei Soldaten als Begleitung zugewiesen, doch um ihm Platz zu machen, wären sie nicht nötig gewesen. Alle erkannten ihn und selbst jene, die hinter großen Stapeln von irgendetwas verschwanden, wichen ihm aus und versuchten trotz ihrer Last, sich vor ihm zu verbeugen. Prinz Aik ritt an ihnen vorbei und musterte sie interessiert, ganz so, als wundere er sich ein wenig über ihr Verhalten. Nikia schien die Aufmerksamkeit zu genießen und nickte hier und da jemandem zu. Jorian hingegen hätte es begrüßt, sie hätten einen anderen Zeitpunkt für ihre Rückkehr gewählt. Er betrachtete das groteske Schauspiel aus Verbeugungen und Ehrbekundungen gegenüber dem Prinzen mit einem gewissen Widerwillen. Prinz Aik schien es zwar nicht wichtig zu sein, dass sie sich vor ihm verneigten, aber er unternahm auch nichts dagegen. Jorian war froh, als sie den Vorplatz des Palastes erreichten, wo gleich mehrere Stalljungen angerannt kamen, um ihnen inmitten des geschäftigen Treibens ihre Pferde abzunehmen.

Die Kutschen waren gerade erst angekommen und ein ganzes Heer von Dienern war die Treppe vom Palast heruntergeeilt, um die Neuankömmlinge in Empfang zu nehmen. Prinz Aik, Nikia und Jorian gingen durch die Kutschen hindurch und blieben am Fuße der Treppe stehen. Jorian wollte den Prinzen gerade um Erlaubnis bitten, in seine Kammer zurückkehren zu dürfen, um der zu erwartenden Begrüßung zu entgehen, als abermals Bewegung am Palastportal sichtbar wurde. Soldaten kamen heraus und postierten sich links und rechts entlang der Treppe. Und dann, langsam und mit bedächtigem Schritt, trat in einem wallenden, strahlenden Kleid aus Weiß und Lila eine hochgewachsene Frau aus dem Portal. Jorian verneigte sich instinktiv und wandte schnell den Blick zu Boden. Auch wenn er sie zuvor noch nie gesehen hatte, so wusste er doch sofort, wer dort oben aus dem Palast getreten war: die Königin des Freien Reiches und Ijarias, Isella Mata Rasgalian aus der Familie der Salviatis.

»Mutter!«, rief Prinz Aik neben ihm und Jorian sah aus dem Augenwinkeln, wie Aik die Treppe hinauflief.

»Mein Sohn!«, kam es zur Antwort.

Eigentlich wäre an dieser Begegnung nichts Ungewöhnliches gewesen. Zwar hatte Jorian schon oft mitbekommen, dass es im Adel auch zwischen Eltern und ihren Kindern bisweilen seltsame Etikette gab, wie man sich zu begrüßen hatte, aber das musste nicht für den Prinzen und seiner Mutter gelten. Und dennoch gefror Jorian für einen Augenblick das Blut in den Adern, als die Stimme der Königin über den Platz hallte.


Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt