VII - Elno (2/5)

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Zu seinem Entsetzen stellte er fest, dass es mehr als ein Gefühl gewesen war. Sein Schrei hatte auch die anderen Jungreiter aus ihrer Konzentration gerissen. Piules, der anscheinend eingeschlafen war, richtete sich auf seinem Sitzkissen auf und schaute verdattert und verlegen umher. Doch das war es nicht, was Elno mit Schrecken erfüllte. Es war der Schnurrbart Zarloks, dessen kümmerliche Reste sich über seiner Oberlippe zusammenkräuselten, während der Rest in kleinen Ascheflocken durch die Luft segelte und den Raum mit dem Geruch verbrannten Haares erfüllte.

»Der Bart!«, rief jemand überflüssigerweise, denn mittlerweile waren alle Elnos Blick gefolgt und hatten sich Meister Zarlok zugewandt.

Meister Zarlok stand schweigend vor ihnen. Er war offensichtlich überrascht und seine langen Finger glitten gedankenverloren über den Rest verbrannten Haares. Elno wagte kaum sich zu rühren. Er wusste, dass es seine Flammen gewesen waren, die den Bart in Brand gesetzt hatten. Er wusste nicht wie, aber er wusste, dass er es getan hatte. Panik stieg in ihm auf und er hatte den Eindruck, dass auch die anderen um ihn herum ein Stück von ihm wegrutschten. Zarloks Blick ging noch einen Moment ins Leere, dann wanderte er zu Elno und ein Lächeln breitete sich über sein Gesicht aus.

»Erstaunlich!«, rief er aus. »Höchst erstaunlich, findet ihr nicht?«

Ein Aufatmen ging durch den Raum. Die Spannung, die man zuvor förmlich hätte greifen können, schien sich zu verflüchtigen und aufgeregtes Geplapper wurde laut.

»War das Elno?«

»Ja!«

»Elno hat den Bart verbrannt!«

Mit Mühe konnte auch Elno sich wieder bewegen. Er drehte sich zu Piules um, der ihn bewundernd anschaute.

»N... n... nicht schlecht!«, sagte er anerkennend.

Elno starrte ihn nur an, unfähig etwas zu sagen.

»In Anbetracht meines Bartverlustes würde ich unsere Auseinandersetzung mit der Magie für heute als beendet erklären«, rief Zarlok über das Stimmengewirr hinweg.

Aufgeregt tuschelnd und ein wenig enttäuscht, nicht mehr erfahren zu können, erhoben sich die Jungreiter und machten sich daran, den Raum zu verlassen.

»Elno, du bleibst noch«, sagte Zarlok, als Elno sich steifbeinig in Richtung Tür bewegte und mit den anderen hinausgehen wollte.

Zarlok wartete, bis alle anderen draußen waren und schloss die Tür hinter ihnen. Er wird mich bestrafen, dachte Elno, und es kam ihm nicht einmal falsch vor. Er hatte Zarlok den Bart verbrannt. Nur den Bart, fügte er in Gedanken hinzu. Es hätte viel schlimmer kommen können, das wusste Elno. Es war das Erste gewesen, was ihm durch den Kopf geschossen war. Du hättest ihn verbrennen können, dachte er, ihn verletzen können, ihn töten können. Elno hatte den letzten Gedanken nicht denken wollen, hatte gewünscht, er würde ihm fernbleiben, ungedacht und vielleicht bald vergessen. Doch der Gedanke war zu mächtig und schlug die Wälle nieder, die Elno gegen ihn errichtete. Er blickte Zarlok an und fühlte sich schuldig und schlecht.

Zarlok musterte ihn mit hochgezogenen Brauen. Elno wusste nicht, was er von ihm wollte. Dann fiel sein Blick erneut auf die Reste des Bartes. Eine erneute Welle aus Schuld durchflutete ihn und dann wurde ihm klar, was Zarlok von ihm wollte.

»Entschuldigung«, sagte er kleinlaut.

Zarlok schien nachdenklich zu sein. Schweigend schaute er Elno an. Elno senkte den Blick und betrachtete die schmalen Rillen zwischen den Steinen des Bodens.

»Ich nehme deine Entschuldigung an«, sagte Zarlok schließlich und es klang abschließend, als wolle er darüber kein Wort mehr verlieren. Elno hatte einen Zornesausbruch erwartet. Irritiert hob er den Blick.

»Habe ich in letzter Zeit etwas getan, was dich verärgert hat?«, fragte Zarlok.

Ohne zu überlegen, schüttelte Elno den Kopf, auch wenn er insgeheim wusste, dass es nicht stimmte. Das Gespräch erschien ihm sinnlos. Schließlich hatte er Zarlok verletzt und nicht umgekehrt. Zarlok musterte ihn und Elno hatte den Eindruck, als würde Zarlok ahnen, dass sein Kopfschütteln eher seiner Überraschung folgte und nicht der Wahrheit entsprach. Doch er forschte nicht weiter nach.

»Das war echte Magie, die du gewirkt hast.«

Zarlok ging hinüber zum Kamin, in welchem immer noch die bläuliche Flamme loderte. Mit einer flüchtigen Handbewegung brachte er sie zum Erlöschen. Dann forderte er Elno mit einer Geste auf, neben ihn zu treten.

»Ich möchte, dass du es noch einmal tust. Aber dieses Mal bitte«, ein Lächeln glitt über sein Gesicht, welches freundlich wirken sollte, aber Elno erkannte, dass sich die Erinnerung an Schmerz dahinter verbarg, »ziel auf den Kamin.«

Ein Schauer lief Elno über den Rücken und es kam nicht von der kühlen Luft. Er starrte in den erloschenen Kamin, doch er hatte nicht die geringste Ahnung, was er tun sollte. Zarlok hätte genauso gut von ihm verlangen können, er möge sich in einen Vogel verwandeln. Er betrachtete die verkohlten Holzscheite, von denen ein dünner Rauchfaden hinauf in den Kaminschacht zog. War es möglich? Konnte er die Scheite in Brand setzen, genauso wie er Zarloks Bart in Brand gesetzt hatte? Bei Zarlok war es zufällig geschehen, ohne jede Absicht und eigentlich auch ohne sein Zutun. Wieder überlief ihn ein Schauer und für einen Augenblick war ihm, als könne er von weit her wieder das Brodeln seiner inneren Flammen hören. Er fokussierte seinen Blick auf die Holzscheite im Kamin und mit einem Mal schien es ihm gar nicht so schwierig, sie in Flammen aufgehen zu lassen. Ihm war, als wollten sie brennen, als riefen sie gerade danach. Sein inneres Feuer wurde lauter. Es wollte hinauf, hinaus und hinüber zum Holz, es verbrennen und verzehren. Die Welt um ihn herum schien zu verschwimmen und Panik stieg in ihm auf. Was war, wenn das Feuer gar nicht zum Kamin wollte? Wenn es statt auf das Holz erneut auf Zarlok oder jemand anderes sprang? Was, wenn er, ohne es zu wollen, einen Menschen verbrannte und vielleicht sogar tötete? Langsam, als müsse er sich dazu zwingen, wandte er den Kopf vom Kamin ab und blickte hinüber zum Fenster, wo er den grauen Himmel sehen konnte. Der Herbst war gekommen und mit ihm der Wind und der Berg war kalt und nass geworden. Ein Bild stieg in ihm auf, wie schwerer und dichter Regen auf ein Feuer fiel und zischend die Flammen löschte. Das Lodern seines inneren Feuers wurde ruhiger und dann verstummte es ganz. Zögernd warf Elno einen Blick auf den Kamin, aber es war nur einfach wieder ein erloschener Kamin und Elno atmete erleichtert auf.

Zarlok, der ihn die ganze Zeit beobachtet hatte, hingegen seufzte.

»Also gut, Elno«, sagte er, »wir machen hier Schluss für heute. Das war ein großer Fortschritt, findest du nicht?«

Die Worte hatten wohl aufmunternd klingen sollen, doch sie klangen enttäuscht und müde. Elno nickte zur Antwort und schaute in Richtung Tür.

»Darf ich nun gehen?«, fragte er Zarlok.

»Natürlich, natürlich.« Zarlok deutete Richtung Tür und blieb alleine im Zimmer zurück. Bevor Elno die Tür schloss, sah er noch, wie Zarlok mit einer trägen Handbewegung das Feuer erneut zum Brennen brachte.

Als er alleine im Gang stand, horchte er in sich hinein, doch da war nichts außer dem Klopfen seines Herzens. Das beruhigte ihn ein wenig und er atmete erleichtert auf. Eigentlich hatte er in den Speisesaal gehen wollen, doch befürchtete er, dort auf die anderen zu treffen. Stattdessen zog er sich zurück in ihren Schlafsaal und er war froh, niemandem dort zu begegnen.


Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt