Kalter Regen peitschte Elno ins Gesicht. Er hatte das Haus noch nicht lange verlassen, aber sein Mantel und seine Kleidung waren bereits durchnässt. Dicke, graue Wolken verdunkelten den Himmel und man hätte denken können, der Abend dämmerte, obwohl es noch nicht einmal Mittag war. Der Wind, der ihm den Regen ins Gesicht trieb, war eisig und schneidend. Vor sich sah er Tenolia, die einen Mantel mit großer Kapuze trug, die sie weit über den Kopf gezogen hatte. Missmutig blickte sie gen Himmel, dann wandte sie sich zu der Reihe Jungreiter, in welcher auch Elno stand. Es waren nur wenige gekommen. Nach dem Frühstück hatte Manaron verkündet, dass ein Sturm aufzöge und dass die Teilnahme am Kampftraining für heute freiwillig sei. Die meisten hatten sich das nicht zweimal sagen lassen und freuten sich über den freien Tag. Allmählich fragte sich Elno, ob er nicht auch besser drinnen geblieben wäre. Er warf einen Blick zu Finiel, die neben ihm stand. Auch sie trug einen Mantel mit Kapuze. Sie machte ein finsteres Gesicht. Als sie merkte, dass Elno sie anschaute, wandte sie sich zu ihm und brachte ein grimmiges Lächeln zustande. Sie ist nur meinetwegen mitgekommen, dachte Elno.
Nur Finiel wusste, wieso er dem schlechten Wetter zum Trotz an den Übungen teilnahm. Ihre Pläne, seine Schwester Nela zu holen, waren mittlerweile konkreter geworden. Finiel hatte sich nach Versorgungsflügen erkundigt und einen herausgesucht, welcher wie geschaffen sein würde, um Nela zu holen. Es war eine kurze Reise zu einer kleinen Ansammlung von Bauernhöfen, welche bisweilen von fahrenden Händlern aufgesucht wurde. Dort gab es wenig zu besorgen und der Flug war mit einer Person eigentlich ausreichend belegt, aber Finiel hatte mit Manaron und danach mit Flugmeisterin Igrimma gesprochen und vorgeschlagen, dass sie Elno mitnehmen würde. Keiner der beiden hatte etwas dagegen einzuwenden gehabt.
»Igrimma hat von sich aus vorgeschlagen, dass wir besser einen Tag mehr einplanen, wenn Miro dabei ist«, hatte Finiel freudig berichtet. »Genau die Zeit, die wir brauchen, um deine Schwester zu holen!«
Elno hatte sich gefreut, doch seitdem schien die Zeit wie im Fluge zu vergehen. Mit der Zeit wuchs auch Elnos Sorge davor, wie es sein würde, wieder zu seinem alten Zuhause zurückzukehren und wie genau sie Nela herausholen würden.
»Wir gehen einfach hin und nehmen sie mit«, hatte Finiel gesagt. »Und wenn jemand was dagegen hat ... Nun, wir werden uns schon zu helfen wissen!«
Elno war sich da nicht so sicher. Bolg war groß und stark und sie waren nicht mehr als Kinder. Einmal hatte Finiel ihn nach seinem Vater gefragt.
»Er ist gefährlich!«, hatte er geantwortet.
»Nun, das sind wir auch«, hatte sie entschlossen gesagt und Elno dabei mit einem so finsteren Blick angeschaut, dass er es ihr sofort geglaubt hatte. Trotz allem fürchtete er sich vor der kommenden Auseinandersetzung und sofern es möglich war, strengte er sich noch mehr an, Tenolias Anweisungen zu folgen.
Neben Nela gab es aber noch etwas anderes, das ihn beschäftigte. Er schlief schlecht, seit jener Nacht, in welcher er im Traum das Innere Heiligtum betreten hatte. Zwar konnte er sich nur an wenig erinnern, aber das, was er behalten hatte, tauchte immer wieder in verzerrten Formen in seinen Träumen auf. Er träumte von großen Hallen, von Drachen und einer drohenden Gefahr, welche am Rande des Lichts lauerte und ihn selbst im Wachen noch zu verfolgen schien. Er war immer angespannt, ganz so, als warte er auf ein Ereignis, ohne zu wissen, was genau es war.
»Gut, dass ihr gekommen seid!«, rief Tenolia ihnen durch Wind und Regen zu. »Ihr werdet heute mehr lernen als sonst und vor allem dies eine: Wenn es einmal darauf ankommt, dann werdet ihr euch das Wetter nicht aussuchen können!« Mit diesen Worten warf sie die Kapuze zurück, als wolle sie noch einmal unterstreichen, wie wenig ihr der Regen ausmachte.
»Sucht euch einen Übungspartner, ich werde euch dann sagen, was ihr tun sollt. Elno!«
Elno wandte den Kopf und blickte Tenolia überrascht an. Eigentlich hatte er gedacht, er könne die Situation nutzen, um mit Finiel zu trainieren, aber Tenolia machte diese Pläne zunichte. »Du übst mit mir!«
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Der Untergang Ijarias I - Die Schatten erheben sich
FantasyEntdecke den Untergang Ijarias - Ein episches Abenteuer voller Mut, Magie und Freundschaft! Ein dunkler Schatten zieht auf über Ijaria, der prachtvollen Hauptstadt des Freien Reiches, und das Schicksal von drei jungen Helden steht auf dem Spiel. Eln...