VI

2.4K 125 12
                                    

Ich schulde dir noch ein Essen.

Ihre SMS las ich, als ich gerade beim Mittagessen saß.

Donnerstag, neun Uhr?

Tippte ich so schnell es ging.

Acht Uhr, 11 Madison Ave. Ich muss leider direkt hinkommen.

Kein Problem. Ich freue mich auf dich.

~
Ich musste mich ziemlich zusammenreißen, mir mein Handy nicht breit grinsend an die Brust zu drücken, hätte etwas merkwürdig gegenüber den Mandanten aus Japan gewirkt, mit denen ich gerade an einem Esstisch saß.
Wenn das Date am Samstag genauso gut lief wie das letzte...
Als ich mich endlich von der freundlichen Gruppe von Männern verabschieden konnte machte ich mich auf den Weg zurück ins Büro.
Ich arbeitete bis spät abends durch und war unglaublich froh, als ich mich um halb zehn in das weiche Leder meines Autos fallen lassen konnte.
Nur noch den Berufsverkehr überstehen, dann war der Tag auch schon geschafft.
Naja, Berufsverkehr in New York war nicht wirklich prickelnd, für eine Wohnung an der Upper East Side nahm ich das aber in Kauf.
Als ich gerade fluchend einen Kerl umkurvte, der aus welchem Grund auch immer mitten auf der Straße stehen geblieben war, klingelte mein Handy.
Ich schaltete auf die Freisprechanlage und legte, nun wieder entspannt, beide Hände auf das gepolsterte, weiche Lenkrad.
"Hey Lieblingsmensch"
Meldete sich Juliet flötend.
Ich verdrehte die Augen und musste grinsen.
"Ich muss schon sagen, nachdem du letzten Freitag nicht erreichbar warst hab' ich mir schon sorgen gemacht."
"Ich war unterwegs. Wie geht's dir?"
"Unwichtig. Du warst unterwegs?"
Genervt warf ich die Hände in die Luft.
"Man, was ist daran so abwegig?"
Meine beste Freundin lachte laut.
"Du bist eine 27 Jahre alte Anwältin, und weil das noch nicht genug über deine Freizeitbereitschaft aussagt nimmst du dir nie urlaub. Ich glaube du verstehst dass ich überrascht bin, wenn du was mit jemand anderem als Alex oder mir unternimmst. Und jetzt erspar mir das gerate und sag mir, wie er oder sie heißt. Betrügst du mich?"
Sie redete so schnell, dass sie ihren italienischen Verwandten alle Ehre machte, und jedem der sie noch nicht länger als fünf Jahre Schwierigkeiten gab sie zu verstehen.
Ich kannte sie seit ich mit 13 nach London gezogen war und nachdem wir herausgefunden hatten dass wir beide eine meine Muttersprache teilten, war es schon längst zu spät gewesen uns zu trennen.
"Ich gebe kein Statement zu ihm bis zum zweiten Date."
"Ich bin schon verblüfft genug, dass du überhaupt fähig selbstständig eine Verabredung auszumachen."
Wäre sie neben mir gesessen hätte ich etwas nach ihr geworfen, und das wusste sie genau, weshalb sie laut ins Telefon gackerte.
"Ich bin sehr wohl fähig, die Kerle sind nur alle Idioten."
"Ich weiß, ich weiß."
Sie seufzte.
"Ich muss Schluss machen, ich will morgen einen Bericht."
"Den kannst du dann an Lex weiterleiten. Gute Nacht."
"Bau keinen Unfall, so viel du hupst."
"Sagt die Maserati- Fahrerin."
"Wir diskutieren jetzt nicht über meinen Fahrstil. Gute Nacht."
Sie legte auf und hinterließ ein breites Grinsen auf meinem Gesicht und ein warmes Gefühl in der Brust.

WintermärchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt