XXIV

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Während ich inmitten meiner auf den Bett ausgebreiteten Notizen einen Vortrag vorbereitete war Sebastian damit beschäftigt sich für den Abend fertig zu machen.
Nachdem wir uns in Tompkins Square Park getroffen hatten waren wir etwas essen gegangen, hatten uns unterhalten wie früher und es vermieden unseren Streit zu erwähnen.
Trotzdem war da noch etwas, etwas dass ich nicht greifen konnte, etwas das immer noch zwischen uns schwebte obwohl wir mit aller Kraft versuchten es zu überdecken.
"Stas?"
Ich war viel zu konzentriert auf meine Arbeit als dass ich ihn verstanden hätte.
"Babe!"
Ich blickte hoch und ihm verwirrt in die Augen.
"Babe?"
Er lachte leise und überging meine Frage.
"Welche Krawatte?"
Er hielt sich abwechselnd eine Blaue und eine schwarze an den Hals.
Ich dachte kurz nach und nickte dann zur schwarzen.
"Kannst du-?"
Ich nickte und spürte wie mein Herz begann zu klopfen als er dem Bett näher kam.
Alles fühlte sich irgendwie so merkwürdig an.
Ich stand auf und band ihm die Krawatte, dann ließ ich zu dass er mich sanft küsste.
Der Kuss schaffte es die Zweifel in meinem Kopf einen Moment lang zum Schweigen zu bringen.
Rückwarts ließen wir uns inmitten die vielen Blätter auf das Bett fallen, keinen Moment die Lippen voneinander lösend.
Er stützte sich neben mir mit der Hand ab um nicht mit dem vollen Gewicht auf mir zu liegen und strich mir die Haare aus dem Gesicht.
"Und es ist sicher in Ordnung dass ich dich heute Abend alleine lasse?"
Ich kniff die Lippen zusammen und rutschte unter ihm hindurch zum Kopf des Bettes, wo ich mich anlehnte und die Finger in das Bettlaken krallte.
Seit Tompkins Square Park war er permanent übermäßig besorgt gewesen und da war immer dieser Bestimmte Ausdruck in seinen Augen gewesen, der Aussah wie eine Mischung aus Mitleid und Besorgnis dass ich etwas dummes anstellen würde sobald er den Raum verließ.
Es ließ mich verzweifeln.
"Sebastian, bitte."
Er setzte sich auf und sah mich etwas verwirrt an.
"Bitte lass diesen Blick."
Ich klang so anders als ich es mir gewünscht hatte.
"Welchen Blick?"
"Diesen Blick als wäre ich etwas das bei der kleinsten Berührung zerbrechen könnte!"
~
Ich zuckte zusammen und spürte wie mein Herzschlag sich unangenehm beschleunigte.
Die Situation drohte gerade gewaltig zu eskalieren.
Ich schlug die Augen nieder und atmete tief durch.
Vielleicht hatte ich es wirklich etwas übertrieben mit der Sorge, doch die Angst um sie machte mich fast wahnsinnig.
Einer meiner engsten Freunde auf der Highschool hatte Jahrelang mit einer schweren Depression gerungen, und war erst nach monatelanger Therapeutischer Behandlung zurück auf die Spur gekommen.
"Ich will nur-"
Murmelte ich leise.
"Ich weiß."
Sie klang beschwichtigend.
"Aber du machst es nicht besser. Dank dir ging es mir besser, aber dass du mich jetzt permanent daran erinnerst macht mich wahnsinnig. Ich war endlich davon los..."
Sie fuhr sich zerstreut durch die Haare und ich begann dunkel zu erahnen was dabei war zu folgen.
"Ich will mich nicht von dir trennen. Ich liebe dich, und wir sind uns beide über die Gefühle des anderen im klaren. Aber vielleicht haben wir es etwas überstürzt so schnell weiter zu machen. Ich habe das Gefühl du brauchst noch Zeit das zu verdauen, genau wie ich."
Ich war unfähig mich zu rühren, geschweige denn etwas zu erwidern.
"Und wenn wir wieder bereit sind uns ohne Angst in die Augen zu blicken machen wir weiter wo wir aufgehört haben, ich verspreche es dir."
Sie legte mir eine kalte Hand an die Wange.
"Ich kann aber nicht einfach den Kontakt zu dir abbrechen."
Flüsterte ich leise und verzweifelt.
"Wer sagt dass wir das müssen? Ich glaube es ist längst zu spät unsere Leben voneinander zu trennen. Wir versuchen nur... Wir versuchen die Liebe und das andere aus dem Spiel zu lassen."
Sie hatte recht, wir hatten mittlerweile viele gemeinsame Freunde mit denen wir oft etwas unternahmen, und trotzdem konnte ich es mir kaum vorstellen einfach nur mit ihr befreundet zu sein.
Auf der anderen Seite hatte sie Recht.
Wir brauchten mehr Zeit als weniger als eine Woche um die Geschehnisse zwischen uns zu verarbeiten.
Betont ruhig begann sie ihre in ihrer typisch krakeligen, unleserlichen Handschrift geschriebenen Notizen zusammenzuklauben und zu einem ordentlichen Stapel zusammenzupacken.
Auf den Stapel legte sie ihren Notizblock und ihren Lieblingskugelschreiber, dann erhob sie sich und schlüpfte aus meinem Sweatshirt.
Fein zusammengelegt legte sie es aufs Bett und drückte dann den Papierstapel an sich.
"Ich glaube ich sollte dann jetzt gehen."
Die Geste mit dem Pulli tat weh.
Vor unserem Streit hatte sie ihn fast jedes mal getragen wenn sie bei mir gewesen war, immer lachend dass sie ihn eines Tages einfach mitnehmen würde und ich ihn dann nie wieder sehen würde.
Ich stand mit ihr auf und begleitete sie zur Tür, dabei versuchend nicht auf die ganzen Sachen zu blicken die sie mittlerweile überall in meiner Wohnung deponiert hatte.
"Viel Spaß heute abend. Lass ein paar schöne Fotos von dir schießen."
Sie richtete meinen Kragen, rückte meine Krawatte zurecht und hauchte mir einen Kuss auf die Wange.
Stas lächelte schwach.
"Wir telefonieren, okay?"
Ich nickte genauso schwach.
Leise öffnete sie die Tür, schlüpfte in ihre Jacke und Schuhe und trat hinaus in den Gang.
Ihre Absätze klackerten leise auf dem Fliesenboden.
Als sie schon den ersten Treppenabsatz zwischen uns gebracht hatte konnte ich nicht anders als ihr hinterherzurufen.
"Was ist mit Samstag in zwei Monaten?"
An diesem Samstag würde die größte Veranstaltung ihrer Anwaltskanzlei des ganzen Jahres stattfinden, sie hatte mich schon vor Ewigkeiten gefragt ob ich mitkommen würde. Sie hatte sich sogar schon den Kopf darüber zerbrochen was für ein Kleid sie anziehen würde.
Durch die Eisenstäbe des Treppengeländers sah ich sie lächeln.
Sie lief ein paar Stufen zurück nach oben.
"Wir können trotzdem hingehen wenn du willst."
"Als Freunde?"
Sie nickte zögerlich.
"Als Freunde."

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