XXI

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Als Stas aufwachte, fiel es mir schwer ihr in die Augen zu blicken.
Zu laut spukten die versehentlich herausgerutschten Worte des Arztes in meinem Kopf herum.
Nach zwei Tagen durfte sie wieder nach Hause, und trotz den Worten des Doktors ließ ich mich von Stas dazu überreden in den nächsten zwei Wochen, während sie noch krankgeschrieben war, bei ihr einzuziehen.
Sie war immer noch meine Freundin.
Ein paar mal versuchte ich mich dazu durchzuringen, sie nach irgendwelchen Tabletten zu fragen, doch jedes mal wenn ich auch nur daran dachte bekam ich ein schlechtes Gewissen.
Sie lag im Bett und ich wollte sie mit irgendwelchen pikanten Fragen aufregen?
Eine Woche nachdem sie aus dem Krankenhaus zurück war schaffte ich es jedoch eines Morgens nicht mehr all die Fragen zurückzuhalten.
Mit gesenktem Blick zupfte ich an meinem Croissant herum und legte mir eine geeignete Wortwahl zurecht.
"Der Arzt hatte etwas von Tabletten gesagt, die sich nicht mit deinen Schmerzmitteln vertragen könnten."
Einen Moment lang weiteten sich ihre Augen geschockt, dann schien sie sich wieder zu fangen.
"Der muss was verwechselt haben."
"Er hatte deine Krankenakte."
Sie blickte mich mit zusammengekniffenen Augen an, als wäre sie verwundert dass ich weiter nachhaken würde.
"Du weißt dass du mit mir reden kannst?"
Ich versuchte die Stimmung etwas zu entladen, mir gefiel der Ton nicht den dieses Gespräch gerade anschlug.
Trotzdem zuckte Anastasia nur mit den Schultern und widmete sich wieder ihrem Frühstück.
"Stas."
Sie hob das Kinn herausfordernd hoch und sah aus als versuche sie mich mit ihrem dunklen Blick zu durchbohren.
"Warum sieht ein Arzt es als wichtig genug an diese Tabletten zu erwähnen? Bitte."
"Weil ich bis vor kurzem Antidepressiva genommen habe."
Fauchte sie, stand auf und verließ die Küche.
Innerhalb von Sekunden stürzte das ganze Bild, das ich bis jetzt von Stas gehabt hatte, in sich zusammen.
Es wollte nicht so recht in meinen Kopf hinein, dass die Person, die ich als so strahlend, hinreißend, einnehmend kennengelernt hatte, vielleicht nicht ganz so war wie sie es sich selbst eingestand.
Ich raffte mich auf und lief ins Wohnzimmer, wo sie, meine Vermutung bestätigend, an der großen Fensterfront stand.
"Warum erzählst du mir so etwas nicht einfach?"
Ich klang genauso geschockt wie ich mich gerade fühlte.
Sie drehte sich um und sah mich an als wäre ich etwas schwer von Verstand.
"Hi, tut mir leid dass ich das nicht früher erzählt habe, aber ich nehme Antidepressiva? Nicht unbedingt förderlich in einer Beziehung."
"Misstrauen ist da auch nicht unbedingt förderlich."
"Also hast du ein Problem damit dass ich die Tabletten genommen habe? Zu deiner Information, ich habe sie abgesetzt kurz nachdem wir uns kennengelernt haben."
"Das ist es nicht."
Ungeduldig suchte ich nach den richtigen Worten.
"Ich hatte unsere Beziehung nicht als so schlecht eingeschätzt dass wir nicht offen miteinander reden können."
"Offen miteinander reden?"
Sie wurde etwas lauter.
"Vielleicht fällt es dir schwer das zu verstehen, aber das ist nicht unbedingt ein leichtes Thema für mich!"
Ich wusste nicht was gerade los war, doch plötzlich begann ich misstrauisch jedes einzelne Wort in Frage zu stellen dass sie je zu mir gesagt hatte.
"Ich habe gerade das Gefühl dass du lügst wenn du den Mund aufmachst!"
Ich schämte mich selbst dafür wie hilflos ich klang.
"Schau dich mal um!"
Sie streckte einen Arm aus.
"Ich bin Anwältin verdammt, meinst du ich bin hingekommen wo ich heute bin indem ich zu allem genickt und Amen gesagt habe? Aber ich schwöre dir, ich habe dich nur dieses eine mal angelogen."
Erschrocken von der Heftigkeit ihrer Worte wich ich ein paar Schritte zurück.
So etwas hatte ich niemals von ihr erwartet.
"Ich- Ich brauche frische Luft."
Presste ich hervor, verließ den Raum, eilte durch den Flur, griff nach meiner Jacke und ließ die Tür hinter mir zufallen.
~
Fassungslos blieb ich wie erstarrt mitten im Wohnzimmer stehen.
War er gerade ernsthaft abgehauen?
Erst nach einer Weile begann ich zu realisieren was gerade passiert war.
Dann, urplötzlich, war es als würde sich etwas in mir lösen, und unaufhaltsam begannen die Tränen zu fließen.
Das hier konnte es sein.
Einfach so, und zack, aus.
Verzweifelt schlang ich die Arme um mich selbst und versuchte mich etwas zu beruhigen.
Das scheiterte aber kläglich.
Zwei Stunden lang machte ich einfach gar nichts, versuchte meine Gedanken zu beruhigen.
In der nächsten Stunde wollte ich mich ablenken, doch es endete darin dass ich mein Handy in der Hand hatte und mein Finger über der Kurzwahltaste schwebte.
Ohne weiter nachzudenken drückte ich die Taste, setzte mich davor aber noch auf den Boden vor dem Sofa und zog die Knie an mich.
"Ja?"
Seine Stimme klang schwach und verloren, als hätte auch er geweint.
Zu meinem Erschrecken merkte ich dass ich zitterte.
"Wo bist du?"
Ich konnte nicht anders als kläglich wieder loszuschluchzen.
"Ich weiß es nicht."
Wie ich ihn kannte war er wahrscheinlich ohne sich umzusehen losgelaufen und hatte sich dabei verlaufen.
"Wir müssen darüber reden es tut mir-"
"Nein, schon in Ordnung. Du bist gegangen."
~
Ich stand völlig aufgelöst irgendwo in New York und hatte mich noch nie in meinem ganzen Leben so verloren gefühlt.
Schon jetzt kam ich mit meiner kindischen Entscheidung, vor dem Streit zu flüchten anstatt ihn zu klären, nicht mehr klar, und nachdem ich Anastasias tränenerstickte Stimme gehört hatte brach ich endgültig in Tränen aus.
In dem Versuch mich selbst ein wenig abzulenken versuchte ich mich zu erinnern wann ich das letzte mal geweint hatte.
War schon eine weile her.
Trotzdem half alles nichts, ihre Worte brannten sich in meinen Kopf und schmerzten körperlich.
Du bist gegangen.
Durcheinander und verzweifelt schlug ich mit der flachen Hand gegen die nächste Hauswand.
~
Ich wollte gerade keine Entschuldigung um der Entschuldigung willen. Außerdem konnte jedes falsch gewählte Wort gerade einen irreparablen Schaden anrichten.
Er war abgehauen nachdem wir so ein ernstes Thema angeschnitten hatten, jetzt musste er mit den Folgen klarkommen.
"Stas..."
"Stas mich nicht!"
Keifte ich wie ein Teenager, wohl in dem Versuch meiner Tränenerstickten Stimme etwas mehr Kraft zu verleihen.
"Ich werde für ein paar Tage weg sein. Wir reden danach."
Ich flüsterte fast nur noch.
"Ist das dein Ernst? Bitte-"
Doch ich hatte schon aufgelegt.
Meine Gefühle schwankten irgendwo zwischen Wut und Verzweiflung, und die ganze Zeit über schaffte ich es nicht aufzuhören zu weinen.
Ich hatte nicht viele Schwachpunkte, aber dazu gezwungen zu werden über meine Probleme zu reden war einer davon.
So schnell es ging, immerhin war ich noch krank geschrieben, fegte ich durch die Wohnung und warf wahllos Bücher, Kleidung und Schuhe in meine Reisetasche.
Zuletzt kamen noch mein Pass, mein Ipod, die Schmerztabletten, die mir mein Arzt für den Notfall verschrieben hatte und mein Geldbeutel dazu.
Misstrauisch warf ich im Bad einen Blick auf das Schränkchen, in dem irgendwo, ganz hinten, noch ein paar Tabletten versteckt waren.
Einen Moment lang überlegte ich, dann schüttelte ich den Kopf.
Damit würde ich fertig werden.
Schließlich zog ich mich um und verließ meine Wohnung fluchtartig, wie Sebastian kurz zuvor.
Es gab nur einen Ort auf dieser Welt, an dem ich jetzt Ruhe finden würde.
Ich rief bei Alex an, erklärte ihm alles knapp und sagte Bescheid dass ich für die nächsten Tage weg sein würde und er bitte auf Bastet aufpassen sollte, dann wählte ich die mir altbekannte Nummer.
Als klar war, dass ich dort, wo ich hinwollte ,gerade überhaupt erwünscht war, fuhr ich zum Flughafen.

Was sagt ihr dazu?
Liebe Grüße,
Vicy

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