XXIII

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Ich versuchte gerade, mich wie so oft in den letzten Tagen abzulenken, als mein Handy  mir durch einen Signalton mitteilte dass ich eine neue Nachricht hatte.
Einen Moment lang überlegte ich, ob ich nachsehen sollte ,wer wohl gerade etwas von mir wollen könnte.
Der nicht so faule part von mir gewann, und schließlich erhob ich mich aus meiner bequemen Position auf der Couch und griff nach dem Mobiltelefon.
Mein Herz blieb stehen als ich den Absender sah.
Anastasia.
In den letzten paar Tagen seit unserem Streit hatte ich mich zurückgezogen und versucht das in meinem Kopf hineinzubekommen, war geschehen war.
Einzelne Geschichten, die sie mir erzählt hatte, Andeutungen und Witze, setzten sich zu einem großen Bild zusammen, das schwer anzusehen war.
Das herumziehen von Land zu Land. Das viele Arbeiten. Die wenigen engen Freunde. Ihr Musikgeschmack, ihr teilweise morbider Humor. Das rauchen.
Bei jedem einzelnen dieser Dinge hätte ich etwas vermuten können, und doch hatte ich mich immer nur auf ihr Lachen konzentriert anstatt auf das, was dazwischen passierte.
Wahrscheinlich war ich noch nie so sauer auf mich selbst gewesen wie in diesen letzten Tagen.
Zuerst unser vollkommen unnötiger Streit, und dann auch noch mein völlig kindischer Ausraster inklusive abhauen, das beides hatte mir genug Gründe dazu gegeben mich schlecht zu fühlen.
Ich hatte oft versucht mich zu entschuldigen, ihr unzählige SMS geschrieben und angerufen, doch entweder war sie außer Reichweite ihres Handys oder sie weigerte sich einen Blick darauf zu werfen.
Bis jetzt.
Während ich meinen Code eintippte um die Nachricht lesen zu können begann ich zu zittern, und abwechselnd warme und kalte schauer liefen mir den Rücken hinunter.
Zuerst war ich verwirrt.
Ich weiß nicht was ich erwartet hatte, aber definitiv nicht so etwas.
Die SMS bestand simpel aus einem link und ein paar knappen Worten.

http://youtu.be/oHzc_DLHztA
Meet me in Tomkins Square Park
Morgen, fünf Uhr

Verwirrt runzelte ich die Stirn und tippte auf den Link.
Vielleicht hatte sie sich im Empfänger geirrt?
Es brauchte kurz, bis das Video auf YouTube begann zu laufen.
Gespannt blickte ich auf den kleinen Bildschirm meines Handys, und bekam eine Gänsehaut als plötzlich ein Lied begann zu spielen.
Ich hatte es schon einmal gehört, Stas hörte ständig diese Band, doch es war der Text der eine größere Wirkung auf mich hatte.

Oh babe, meet me in Tompkins Square Park.

Ich nahm mein Handy mit und ging zu meinem Laptop, das in der Küche auf dem Esstisch stand.
Gespannt tippte ich den Namen des Parks ein.
Er war in New York.

I wanna hold you, in the dark, one last time... Just one Last time

Was meinte sie damit, ein letztes mal?

I only ever told you one lie, when it could have been a thousand

Es klang wie etwas das Stas sagen würde.
Außerdem hatte sie versucht mir zu erklären dass sie mich nur dieses eine mal angelogen hatte.
Ohne dass ich es hätte verhindern können kamen mir die Tränen.

I never tried to trick you babe, I just tried to work it out

Was wenn es gar nicht böse gemeint war? Ich hatte mich so auf die Tatsache des Lügens konzentriert, dass ich die möglichen Hintergründe komplett übersehen hatte.
Während in mir das reinste Chaos herrschte klappte ich das Laptop lautstark zu und stand plötzlich verloren inmitten meiner Wohnung.
Was sollte ich mit der bis zum nächsten Abend verbleibenden Zeit anstellen?
Ich war nicht wirklich zu irgendetwas fähig.
Obwohl es noch nicht wirklich spät war, beschloss ich schlafen zu gehen.
Wenn ich Glück hatte würde ich vielleicht sogar die Nacht durchschlafen.
Nachdem ich mich eine gefühlte Ewigkeit lange von Seite zu Seite in dem viel zu leer scheinenden Bett gewälzt hatte fiel ich endlich in einen unruhigen Schlaf, der aber bis zum Morgen andauerte.
Am Nachmittag des nächsten Tages machte ich mich viel zu früh auf den Weg in den Park, nachdem ich stundenlang nervös in meinem Schlafzimmer auf und ab gegangen war.
Diese Nervosität wurde noch stärker, je näher ich dem Park kam.
Als ich unter dem großen Eingangstor hindurch ging, wurde mir plötzlich bewusst dass ich keine Ahnung hatte wo genau wir uns treffen würden, das Gelände war nicht gerade klein.
Frustriert fuhr ich mir durch die Haare und versuchte logisch zu denken.
Vielleicht war es ein guter Versuch in der Mitte anzufangen.
Und ich hatte richtig getippt.
Da saß sie, ein zerfleddertes Taschenbuch im Schoß geöffnet, auf einer Bank, die verdächtig der ähnelte auf der wir uns kennengelernt hatten.
Bis jetzt schien sie mich noch nicht bemerkt zu haben, ich konnte immer noch...
Nein.
Ich riss mich zusammen und lief zur Bank.
"Meet me in Tompkins Square Park?"
Fragte ich bevor ich es mir anders überlegen konnte.
Stas blickte auf und die Spur eines Lächelns huschte über ihre Lippen.
Sie sah müde aus, genau wie ich wahrscheinlich.
"Du bist gekommen."
"Du bist zurück."
Erwiderte ich und setzte mich hin.
Dabei ließ ich sie keine Sekunden aus den Augen.
Eine unangenehme Stille entstand, keiner von uns beiden traute sich etwas zu sagen.
Nach einer Weile setzten wir gleichzeitig an etwas zu sagen.
Wir lachten nervös.
"Ich... Ich wollte einfach sagen dass es mir leid tut. Ich weiß, ich hätte es dir sagen sollen, aber irgendwie... Du musst bitte wissen dass ich es dir in keinster Weise nicht erzählt habe um dir wehzutun-"
Sie wollte noch weiter reden, doch ich unterbrach sie.
"Ich hätte genausowenig einfach abhauen sollen. Ich hatte noch nie so ein schlechtes Gewissen wegen etwas."
Sie lächelte, und dieses mal blieb das Lächeln auch in ihren Augen hängen.
"Das ganze ist heftig, ich weiß, aber trotzdem. Das einzige, das ich gerade will ist das mit dir wieder hinzukriegen."
Erschrocken sah ich dass sie anfing zu weinen.
Ohne nachzudenken zog ich sie an in eine Umarmung.
"Es gibt nichts wieder hinzukriegen."
Sie riss sich aus meiner Umarmung und in ihren Augen stand pure Angst geschrieben.
"Wir haben gestritten. In Ordnung, passiert. Also, was soll uns daran hindern weiter zu machen wo wir aufgehört haben?"
Zögerlich legte ich eine Hand an ihre Wange und wischte ihr die Tränen weg.
~
Seine Berührung tat so unglaublich gut nach dieser Woche, die sich angefühlt hatte wie Jahre.
Und er war bereit über alles hinwegzusehen.
Etwas ängstlich schloss ich die Augen und lehnte mich nach vorne.
Als seine Lippen auf meine trafen begann mein Herz sich zu benehmen als wäre es auf Koks.
Der Kuss fühlte sich an wie ein neuer Anfang.
"Hast du Hunger?"
Ich blickte etwas verdutzt drein.
Meine Ernährung war gerade nicht unbedingt das wichtigste.
"Was?"
Lachte ich.
Sebastian grinste schief.
"Für irgendetwas wird New York ja wohl die Stadt die niemals schläft genannt werden."

Der song oben heißt Tompkins Square Park und ist von Mumford und Sons, deren Musik mir unglaublich wichtig ist. Ich kann mir vorstellen dass sie vielen nicht gefällt, aber selbst dann passt sie gut zu Stas und Sebastian.
Love,
Vicy

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