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Als die Tür klingelte stand ich gerade noch im Bad und versuchte mich an etwas mehr Make-up als Mascara.
Laut fluchend rannte ich zu meiner Garderobe, schlüpfte in einen Schuh und hüpfte die drei Stufen zur Eingangstür hinunter, wobei ich eine Stufe übersah und stolpernd vor der Tür ankam.
Vor der Tür stand ein grinsender Sebastian, er hatte mein Gefluche höchstwahrscheinlich gehört.
"Hi."
Hauchte ich ausser Atem.
"Hi."
"Gib mir noch fünf Minuten, dann bin ich fertig."
Ich lachte nervös und hüpfte zurück ins Badezimmer, vorher war ich noch aus dem einen Schuh geschlüpft.
Gestresst und genervt, dass mein Gesicht nicht so aussehen wollte wie ich es wollte, schminkte ich meine Augen noch einmal im Schnelldurchlauf ab, legte Mascara und dann etwas goldenen Lidschatten auf.
Sah immerhin besser aus als der Verzweifelte Versuch von Smokey Eyes.
Ich nickte mir selbst im Spiegel zu.
Etwas eleganter lief ich zurück in den Eingangsbereich meines Lofts, wo Sebastian etwas verloren stand.
~
Schon vom Eingang aus konnte man erkennen, wie groß ihre Wohnung war.
Ich begann mich zu fragen, was sie arbeitete, um sich so eine Miete leisten zu können.
Nur schwer konnte ich dem Drang widerstehen, in der Wohnung herumzulaufen und alles anzuschauen.
Als ich doch kurz davor war loszulaufen kam sie zurück, nun etwas weniger geschminkt.
Sie sah umwerfend aus.
Ihre goldbraunen Haare fielen durcheinander, in Wellen bis auf ihre Brust.
Trotz der Kälte trug sie ein kurzes, Burgunderrotes Kleid.
Anscheinend machte ihr Kälte weniger aus als mir, der ich im langärmeligen Hemd und Winterjacke dastand.
Nachdem sie in ein paar hohe Schuhe geschlüpft war und sich eine braune Wildlederjacke übergeworfen hatte lächelte sie mich Erwartungsvoll an.
"Gehen wir?"
Ich nickte und musste lächeln.
Das letzte mal als sie das gesagt hatte, hatte sie mich in dem Glauben sie nie wieder sehen zu können stehengelassen, jetzt verließen wir ihre Wohnung um den Abend gemeinsam zu verbringen.
"Also, wohin entführst du mich?"
Wir standen auf dem Fußweg vor dem Gebäude, in dem ihre Wohnung war.
"Vielleicht in meinen Keller."
Sie lachte laut.
"Also, ernsthaft?"
"In ein Restaurant ganz in der Nähe, wenn du willst können wir laufen."
"Gerne."
Sie hakte sich bei mir unter, etwas das sie anscheinend immer tat.
Auf dem Weg zum Restaurant unterhielten wir uns laufend, sie war eine unglaublich angenehme Gesprächspartnerin.
Das Restaurant, das mir ein Freund empfohlen hatte, lag im obersten Stockwerk in einem der vielen Hochhäuser, und von einer Panoramaglaswand hatte man einen spektakulären Blick über die Stadt.
Irgendwie hatte ich es hinbekommen, einen Tisch direkt am Fenster zu reservieren, und sobald wir saßen blickte Anastasia begeistert aus dem Fenster.
Zwei Minuten lang sagte sie gar nichts, und blickte einfach nur auf die Stadt unter uns.
"Ich liebe diese Stadt."
Sie blickte mich wieder an.
Ihre Augen strahlten begeistert.
"Wohnst du schon immer hier?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Du aber auch nicht."
Sie lachte wieder.
"Ich wohne erst seit ein paar Jahren hier."
"Wo hast du vorher gewohnt?"
"Eine Zeit lang in Hong Kong, davor in Oxford, wo ich studiert habe, davor in London und davor in Österreich."
"Du bist ganz schön herumgekommen."
"Kann man so sagen. Wo hast du gewohnt bevor du hier gelandet bist?"
"Irgendwo in einer Kleinstadt zwischen New York und Boston, davor in Österreich und davor in Rumänien."
"Du bist mindestens genauso viel herumgekommen wie ich."
Sie grinste und wollte etwas sagen, als ein Kellner uns unterbrach.
Ich musste mich zusammenreißen, dem Kellner keinen bösen Blick zuzuwerfen.
Der Kerl im Frack, der ihn aussehen ließ wie einen Pinguin, nahm unsere Bestellungen auf und ließ uns wieder in Ruhe.
Um uns keine zehn Minuten später wieder zu unterbrechen, um uns unseren Wein hinzustellen.
~
Dankend nahm ich das Glas französischen Weißweines an und nahm einen kleinen Schluck.
Gute Wahl.
Währenddessen beobachtete ich Sebastian, der die Speisekarte las.
Mein letztes Date lag ein paar Monate zurück, und schon seit Ewigkeiten hatte ich keines mehr gehabt das so gut lief.
Als er gefunden hatte, was er essen wollte klappte er die Karte zu und suchte wieder den Blickkontakt zu mir.
Perfekt, bei allem gestarre hatte ich vergessen selbst etwas zum Essen auszuwählen.
Bemüht, nicht rot zu werden versteckte ich mein Gesicht hinter der nicht besonders auswahlreichen Karte.
Ich wusste gar nicht dass ich rot werden konnte.
Während ich die zwei, drei angebotenen, experimentell kreativen Speisen durchsah, überlegte ich strategisch was am elegantesten zu essen war.
Bloß keine Spaghetti.
Ich entschied mich für Lachs mit Ratatouillegemüse und ließ die Karte ebenfalls zuschnappen, nur etwas lauter als Sebastian.
Der Mann am Zweiertisch neben uns sah mich mit strafendem Blick an, doch seine Frau legte ihm beruhigend eine Hand auf den Unterarm und flüsterte ihm etwas zu, woraufhin seine Miene freundlicher wurde und er mir zuzwinkerte.
Während wir auf den Kellner warteten, uns wieder zu unterbrechen, kam unsere Unterhaltung wieder etwas in Fahrt.
Er stellte mir fragen, ich beantwortete sie, ich stellte welche, er beantwortete sie.
"Was machst du beruflich?"
Er sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, als versuche er zu deduzieren was ich arbeitete.
Ich lächelte und nahm einen Schluck von dem fantastischen Wein.
"Ich bin Anwältin in einer Kanzlei in der Innenstadt."
"Oh."
Er schien verblüfft.
"Ich hätte dich nicht so elitär eingeschätzt, aber jetzt macht die Wohnung Sinn."
~
"Die Wohnung macht Sinn?"
Sie lachte.
"Irgendwie muss man sich die Miete auf der Upper East Side leisten können."
"Was machst du?"
"Ich bin Schauspieler."
Anastasia kniff die Augen zusammen und musterte mich, als überlege sie, ob sie mich kannte.
"Ist nicht schlimm wenn ich dir nichts sage."
Sie lächelte und wir unterhielten uns weiter.
Irgendwann, als wir schon halb fertig mit unserem Essen waren, riss sie plötzlich die Augen auf und verschluckte sich, gleichzeitig lachte sie.
Als der Hustenanfall einigermaßen vorüber war wischte sie sich die Tränen weg.
"Carter Baison."
Auch ich begann zu lachen.
Keine der Rollen auf die ich besonders Stolz war.
"Tut mir leid."
Sie wedelte sich Luft zu.
"Tut mir leid, ich sollte nicht lachen."
"Alles gut."
Gut, das war das erste und letzte mal an diesem Abend, dass ich mich etwas unwohl gefühlt hatte.
Als wir mit dem Essen fertig waren bezahlte ich die Rechnung und wir verließen das Wohnhaus.
Da sie gleich in der Nähe wohnte begleitete ich sie nach Hause.
Vor der Tür stellte sie sich vor mich, küsste mich und drückte meine Hand.
"Das nächste mal zahl ich."
Später im Taxi war ich noch so aufgeregt, dass ich mich nicht mehr erinnern konnte ob der Kuss auf die Wange oder auf die Lippen gewesen war.

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