XXXXVII

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Irgendwo direkt neben meinem Ohr begann es laut und eindringlich zu piepen.
Fluchend richtete ich mich in meinem Bett auf und fegte dabei Lydias Arm von meinem Bauch.
Ihr Make-up von gestern Abend hatte sich katastrophal über ihr Gesicht und das Bettlaken verteilt, was sie aussehen ließ wie eine Anwärterin auf die Rolle des Jokers.
Wahrscheinlich sah ich nicht besser aus.
Obwohl ich gestern vermutlich mehr als genug getrunken hatte war mir der Kater erspart geblieben, wofür ich dem lieben Gott still dankte.
Im Raum hörte ich ein Aufstöhnen, das verdächtig nach Jules klang.
Ich fand sie erst beim dritten hinsehen.
In ihrem Koffer.
Zugedeckt mit einem ihrer 1000-Dollar-Mäntel.
Ich verkniff mir ein schadenfrohes Auflachen und warf sie mit meinem Kopfkissen ab.
Auch Lydia neben mir begann sich zu regen und verzog das Gesicht.
"Stell den scheiss Wecker ab."
Brummte sie und versuchte sich wieder in die Bettdecke einzuhüllen.
Ich zog sie ihr weg und griff nach dem wild piependen Handy auf dem Nachttisch.
Es war Lydias, Alex musste den Alarm wohl eingestellt haben, daneben lag eine hingekritzelte Notiz.
"Juliet."
Murmelte ich, Panik sich in meine Stimme schleichend.
"Mh?"
Sie blickte mich fragend an während sie aus dem Koffer zur winzigen Küche des Hotelzimmers krabbelte und sich ein Glas Wasser einschenkte.
"Es ist viertel nach zehn."
Das Glass Wasser fiel mit einem Klirren zu Boden.
"Fuck."
In einer Dreiviertelstunde würde die Trauung beginnen.
Und ich saß in meinem zerknitterten kleinen Schwarzen vom Vorabend im Bett.
Mit einer Geschwindigkeit die ich ihr nie zugetraut hätte rauschte Juliet zum Kleiderschrank, in dem fein säuberlich mein Kleid hing.
"Hinsetzen. Sofort."
In einem gebieterischen Ton deutete sie auf den Stuhl vor dem Spiegel.
"Lydia! Beweg deinen Hintern!"
Meine Nichte schreckte hoch und fiel aus dem Bett.
"Schreib Alex dass er, wo auch immer er gerade sein mag, sofort hier her kommen muss. Sonst kriegen wir unsere liebe Stas hier niemals vor ihrem verdammten Altar."
Jules musste wohl meinen unsicheren Blick im Spiegel gesehen haben, denn ihre Miene wurde wieder weich.
"Keine Sorge, deine beste Freundin ist ein Genie und kriegt das hin."
Mit diesen Worten holte sie den riesigen Make-up Koffer aus dem Bad, gemeinsam mit diversen Föhnen und Lockenwicklern.
Zwanzig Minuten später erkannte ich mich fast selbst nicht wieder.
Die Schatten unter meinen Augen waren verschwunden, meine Wangenknochen perfekt konturiert, meine Haare locker hochgesteckt und meine Augen dezent Geschminkt.
Als Jules gerade die letzte Haarsträhne feststeckte stolperte Alex zur Tür herein, schon seinen Anzug tragend.
"Guten Morgen, zukünftige Mrs. Stan."
Munter grinsend lief er zur Minibar.
"Darf ich ihnen ein Glas Champagner anbieten? Oder auch nur ein Wasser?"
Für diese Worte wurde er von Juliet mit einem Klaps auf den Hinterkopf bestraft.
"Sie wird jetzt nichts trinken. Vor allem kein Alkohol. Stas- In dein Kleid."
Ich nickte und stand auf.
Langsam begannen meine Hände zu zittern.
Mit einem merkwürdigen Gefühl schlüpfte ich in die elfenbeinfarbenen Dessous und danach in das Kleid derselben Farbe.
Beim ersten Blick in den Spiegel wäre ich fast perplex nach hinten gestolpert.
Ich sah aus... Wie eine Braut.
Plötzlich schien alles so echt.
Ich würde heiraten.
Noch besser, ich würde Sebastian heiraten.
Hilflos wischte ich eine Träne aus dem Augenwinkel.
So viele Gefühle auf einmal.
Jemand legte mir halt gebend seinen Arm um meine Taille.
Alex stand neben mir und funkelte mich stolz an.
"Du siehst wunderschön aus."
Noch mehr Tränen.
Verdammt, wollten die denn gar nicht mehr aufhören?
"Alex du Idiot, hör auf ihr Komplimente zu machen! Das bringt sie nur mehr zum heulen!"
Schimpfte Jules während sie der etwas verpeilt dreinblickenden Lydia in ihr Bordeauxrotes Brautjungfernkleid half.
"Stas, du siehst scheisse aus. Und jetzt hör auf zu weinen, sonst muss ich das auch."
Ich musste vollkommen entgegen meines Chaos von Gefühlen lachen.
Das alles hier war real.
Und ich hatte absolut kein Recht wegen irgendetwas unglücklich zu sein.
"Ich will ja nur ungern die schöne Stimmung verderben, aber wir sollten wirklich los."
Drängte Lydia.
"Sie hat recht."
Flüsterte Alex und drückte mir einen Kuss auf die Stirn.
"Auf geht's, kriegen wir dich unter die Haube."

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