XXXVIII

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Für eine Weile war alles in Ordnung.
Die Freude darüber, Sebastian wieder in meiner Nähe zu haben, schaffte es für ein paar Wochen tatsächlich alles andere zu überstrahlen.
Doch irgendwann schien dieses Strahlen plötzlich abzuflauen, und obwohl ich es selbst nicht verstand begann ich mich wieder einsam zu fühlen.
Im Büro lief es nicht sonderlich gut, ich vermisste Alex und Jules mit jedem Tag mehr, und dass Sebastian zur Zeit öfter Abends mit Freunden Essen ging machte es nicht wirklich besser.
Ich versuchte ihm keinen Vorwurf zu machen, schließlich war ich erstens keine dieser anhänglichen Freundinnen, die überall hin mit wollten, und zweitens hatte er seine Freunde bei dem ganzen Filmen seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, doch trotzdem... So glücklich ich auch war wenn wir zusammen waren, das erste mal hielt diese Glücklichkeit nicht mehr an.
Immer öfter ertappte ich mich dabei, ermsthaft zu überlegen Henry anzurufen und sein Angebot anzunehmen.
Seit unserem Treffen in Hong Kong ging ich seinen Fragen nach meiner Entscheidung in unseren Emails diplomatisch aus dem Weg.
So sehr er mich zweifellos mochte, ich konnte ihn nicht ewig mit halbherzigen Antworten abspeisen.
Dann, eines Abends, es war ein Freitag, passierte es zum zweiten mal dass Seb ohne Bescheid zu sagen Ausging.
Ich hatte einen besondere miesen Tag gehabt, mich miserabel gefühlt, und morgens hatte es irgendwie noch so geklungen als würden wir den Abend gemeinsam auf der Couch verbringen.
In der Hoffung, dieses ätzende, leere Gefühl in mir, das ich nur allzugut aus alten Zeiten kannte, nahm ich eine kalte Dusche, hüllte mich in meine bequemsten Klamotten und rollte mich auf der Couch zusammen, doch nichts davon half.
Nicht einmal die Schokolade, die ich im Küchenschrank gefunden hatte.
Etwa eine Stunde lang versuchte ich mich davon zu überzeugen, dass Sebastians heutiges Interview bestimmt nur etwas länger gedauert hatte.
Nach zwei Stunden überlegte, ob ich ihn anrufen sollte oder nicht.
Aus irgendeinem Grund hatte ich angefangen zu weinen und konnte nicht mehr aufhören.
Diese Unfähigkeit meine Gefühle zu kontrollieren war mir ebenfalls bekannt.
Nach drei Stunden hatte ich mich einigermaßen beruhigt und konnte wieder einen einigermaßen Gedanken fassen.
Sebastian war nicht Schuld daran dass es mir wieder schlechter ging.
Er war nur einer der Faktoren.
Doch egal wie glücklich ich in seiner Gegenwart war, er konnte nicht rund um die Uhr in meiner Nähe sein.
Und meine zwei besten Freunde, die mich ebenfalls glücklich machen und ständig bei mir konnten, gegen Seb, der ständig für seinen Job wohin musste?
Das erste mal schien der Job in London regelrecht verlockend.
Und bevor ich noch weiter darüber nachdenken konnte hatte ich die Mail an Henry geschickt.
Fünf Minuten später kam eine ungewohnt enthusiastische Email als Antwort, in der er sich sogar für meine Entscheidung bedankte.
Mit zitternden Händen meldete ich mich für den nächsten Tag krank.
Das hier war nichts das ich lange vor Sebastian geheim halten konnte.
Irgendwann schlief ich trotz meiner Aufregung ein, um am nächsten Morgen im Bett aufzuwachen.
Er hatte einen Zettel auf dem Nachttisch zurückgelassen, indem er sich gefühlte hundert mal für den Abend entschuldigte und erklärte dass er früh los musste,zu irgendeiner Konferenz oder so.
Ich schloss die Augen, vergrub mein Gesicht in meinen Händen und atmete tief durch.
Nicht schon wieder weinen.
Es war schon vergleichsweise spät, laut Sebastians Nachricht hatte ich noch etwa zwei Stunden bis er zurückkam.
Ich zog mich um, Frühstückte obwohl mir unglaublich übel war und checkte meine Mails, alles in der Hoffnung etwas abgelenkt zu werden.
Als sich der Schlüssel in der Wohnungstür drehte saß ich wieder auf der Couch, panisch meine Hände knetend.
"Ich bin im Wohnzimmer!"
Rief ich mit unsicherer Stimme.
Kurz darauf betrat ein stirnrunzelnder Sebastian das Wohnzimmer.
Sein Ausdruck wurde noch verwirrter und auch etwas ängstlich als er mich so nervös da sitzen sah.
"Hi."
Er lächelte.
"Solltest du nicht in der Kanzlei sein?"
Ich schüttelte den Kopf und blinzelte die ersten Tränen weg, die sich nun doch anfingen in meinen Augen zu sammeln.
"Wir..."
Tief durchatmen.
"Wir müssen reden."
Sebastian fuhr leicht zusammen.
"Was ist los? Bist du- Bist du...?"
Er machte eine undeutliche Handgeste, dennoch kannte ich ihn gut genug um zu wissen was er meinte.
"Nein, bin ich nicht."
Mein Blick traf seinen.
"Mir wurde ein Job angeboten. Partner in einer riesigen Kanzlei."
"Das ist doch großartig?"
Einen Moment lang hellte sich seine Miene auf.
"Der Job ist London."
Der kleine Hoffnungsschimmer verschwand aus seinen wunderschönen Gesichtszügen.
"Oh."
Ich biss mir auf die zitternde Unterlippe.
"Ich habe den Job angenommen. Bessere Bezahlung, weniger Arbeiten, Jules und Alex wieder in der Nähe..."
Mit jedem Wort klang meine Stimme verzweifelter.
Sebastian sackte in sich zusammen.
"Wieso?"
"Ich vermisse meine Freunde, Seb."
Nun hatte ich endgültig begonnen zu schluchzen.
"Es ist nicht deine Schuld, aber mir geht es wieder schlechter. Und..."
Einen Moment lang versagte meine Stimme.
"Ich schaffe das nicht wenn du so oft weg bist."
"Natürlich ist es meine Schuld wenn du es so sagst. Was hast du dir dabei gedacht diees Angebot einfach so anzunehmen? Wir sind seit über einem Jahr zusammen, solch Entscheidungen kannst du nicht einfach alleine treffen! Was soll ich jetzt machen, hm? Ich kann nicht einfach nach London ziehen!"
"Ich weiß, ich-"
Er unterbrach mich mit einer Handbewegung.
"Dass es dir 'wieder schlechter geht' gibt dir nicht das Recht dich in deinem ganzen Selbstmitleid zu verkriechen, okay?"
Halb wütend, halb entsetzt sprang ich auf.
"Meinst du ich habe mir das ausgesucht so zu sein? Ich habe mir nicht ausgesucht dass mein Scheiss Leben so verkorkst war bevor ich dich getroffen habe!"
Der letzte Satz war etwas lauter herausgekommen als geplant.
"Tut mir leid..."
Murmelte ich leise.
"Nein, schon in Ordnung. Anscheinend ist dein so genanntes Scheiss Leben hier mit mir nicht genug."
"Das hat nichts mit dir zu tun! London ist die Stadt, in der ich die Person geworden bin die ich heute bin, und ich muss wenigstens einmal die Entscheidung treffen die für mich selbst die beste ist!"
"Das heißt du machst Schluss."
Stellte Sebastian überraschend nüchtern fest.
Die ganze Situation schien ihn nicht wirklich zu berühren.
"Wenn es einen anderen Weg gäbe, glaub mir, ich würde ihn nehmen."
"Das ist mir ein wenig zu viel Konjunktiv. Ich werde bei Chace wohnen bis du weg bist."
Er wandte sich zum gehen.
"Was?! Das wars?"
"Erwartest du 'nen Abschiedskuss? Du hast ziemlich deutlich gemacht dass du diese Beziehung micht mehr führen willst."
"Das habe ich nicht gesagt, das habe ich nie gesagt!"
Ich presste mir eine Hand vor den Mund um meine Schluchzer zu ersticken.
Sebastian drehte mir den Rücken zu und verschwand ins Schlafzimmer.
Ich sank weinend auf den Boden und hörte nach einer Weile die Wohnungstür ins Schloss fiel.
Weg.
Und ich konnte noch immer nicht entscheiden ob sein Verhalten gerechtfertigt und alles meine Schuld, oder ob er tatsächlich ziemlich überreagiert hatte.

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