XXXVI

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Jahrestag.
Ein ziemlich großes Wort für jemanden wie mich, der sich schwer tat Bindungen aufzubauen, geschweige denn zu halten.
Und trotzdem fand ich an besagtem Tag ein kleines Päckchen auf meinem Bett, geschickt von meinem umwerfenden Freund.
Mich fragend womit ich das alles überhaupt erst verdient hatte ließ ich mich auf das weiche Hotelbett sinken und platzierte den Karton in meinem Schoß.
Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen.
Schnell tauschte ich meine Buisnessklamotten gegen etwas bequemeres, machte leise, um bloß keinen der Nachbarn zu stören, Mumford and Sons an, legte mein Handy in reichweite und öffnete das Päckchen.
Auf einer Papierschicht, die mir den Blick auf den tatsächlichen Inhalt verwehrte, lag ein kleines Kärtchen.

Damit du nicht so alleine bist.

Darunter hatte er versucht ein Herz zu malen.
Wie gesagt, versucht, denn diese Form schien sich irgendwie nicht mit seiner Koordination vereinbaren zu lassen.
Aufgeregt zog ich das Papier weg, warf es neben mich- und brach in Gelächter aus.
In der Schachtel vor mir lag ein roter Plüsch-T-Rex.
Daneben ein weiteres Kärtchen.

Ich habe Wien nicht vergessen.
Deine Lieblingsfarbe natürlich auch nicht.

Ich wusste nicht so recht ob ich weiterlachen oder weinen sollte.
Mit dem Dinosaurier spielte er auf unser Weihnachten in Wien an, und den Tag an dem ich ihn ins Naturkundemuseum geschleppt hatte und eine halbe Stunde wie gebannt vor dem sich bewegenden Modell eines Allosaurus dort gestanden war.
Ich drückte mir das Kuscheltier an die Brust und atmete tief durch.
Dabei fiel mir etwas auf: Der Dinosaurier roch nach Sebastian.
Der Vollidiot hatte das Ding wahrscheinlich tatsächlich bei sich im Bett gehabt un das hinzukriegen.
Nun brach ich endgültig in Tränen aus.
Zum wahrscheinlich zehnten mal an diesem Tag drückte ich auf die Kurzwahltaste.
"Du hast das Päckchen bekommen?"
Ich konnte buchstäblich sein grinsen hören.
"Ich liebe dich."
Er lachte leise.
"Ich dich auch. Hörst du schon wieder Mumford and Sons?"
Ich biss mir auf die Unterlippe.
"Ertappt."
"Gibt es da irgendeine Stufe ab der das ungesund wird?"
"Hm."
Grübelte ich gespielt.
"Ich glaube diese Stufe gilt nur wenn man die Musik zu wenig hört."
Er lachte wieder, ich schniefte.
"Ist bei dir alles in Ordnung?"
"Das fragst du mich das wahrscheinlich tausendste mal heute."
"Weil ich es wissen will."
Ich erlaubte mir eine kurze Pause bevor ich antwortete.
"Mir geht es gut. Ich wünschte nur du wärst hier."
"Ich mir auch, glaub mir Stas. Aber jetzt haben wir es bald. Wir sind bald mit den letzten Szenen durch, und dann habe ich erst einmal ewig Pause bevor die Presstour losgeht. Das üben mit dir hat sich bezahlt gemacht."
Ich musste lächeln.
Für diesen Film hatte er nicht nur mehr Zeit als gewöhnlich im Fitnessstudio verbracht.
Er hatte Monate vorher schon angefangen, Tricks mit Plastikmessern zu üben (auch an roten Ampeln, was hin und wieder für Verwirrungen gesorgt hatte), ich hatte ihm ein wenig Russisch beigebracht, und zusammen hatten wir uns jeden Tag nach Feierabend in den gesamten Kalten Krieg eingelesen.
Wenn dieser Film nicht gut werden würde wusste ich auch nicht weiter.
"Beeil dich, ja?"
"Glaub mir Babe, so sehr ich den Arm liebe, ich will keine Sekunde länger als nötig in dieser Maske verbringen."
"Ohhh, haben sie dir immer noch nicht erlaubt mehr Löcher in das Ding zu machen? Armer Winter BooBear."
"Neiiin!"
Jammerte Seb mit weinerlicher Stimme über seinen Spitznamen, den ich am Abend im Castle mit seinen Kollegen aufgeschnappt hatte.

"Interessanter Wurf."
Kommentierte Sebastian Anthonys Spielzug mit verschränkten Armen und neckischem Grinsen.
"Konzentrier dich lieber auf deine eigenen Würfe, babe,mich bin nämlich gerade so was von dabei dich fertig zu machen."
Erwiderte ich ihm und seinem Grinsen.
Chris am Tisch hinter mir wechselte belustigte Blicke mit seiner Frau und Scarlett Johannsson.
Anscheinend schien Dartspielen am Set sehr ernst genommen zu werden, und in den letzten Wochen war immer Sebastian der Sieger gewesen.
Bis jetzt.
"Sieht so aus als bekäme Winter BooBear heute seinen Arsch versohlt."
Grinste Zada und stieß mit Chris an, der aus Solidarität mit ihr ebenfalls nur Wasser trank.
"Das ist unfair! Hätte ich gewusst dass du so gut bist hätte ich niemals ein Spiel vorgeschlagen! Woher kannst du das überhaupt?"
Maulte Seb.
Ich nahm grinsend meine Pfeile entgegen und stellte mich in Wurfposition.
"Wenn man einen Großteil seiner Jugend damit verbringt sich mit einem angehenden Model in Pubs zu schleichen lernt man das irgendwann. Konntest du ja nicht wissen, Winter BooBear."
Ich warf und traf direkt in den Bull.
Er hob anklagend die Hände.
"Danke dafür, Leute, das wird sie nie fallen lassen."
Wir alle lachten nur.

"Aber du solltest jetzt wirklich schlafen. Wie spät ist es bei dir?"
Bei der Erwähnung von Schlaf musste ich gähnen.
"Zu spät."
Murmelte ich in mein Handy.
Er lachte leise.
"Gute Nacht, Stas. Wir sehen uns in zweieinhalb Wochen."
Zweieinhalb Wochen und ich würde ihn zurück haben.
"Ich liebe dich. Und schlaf du auch ein bisschen, egal wie spät es bei dir ist. Kann nie schaden."
"Bye. Ich liebe dich."
Bevor ich auflegte, meinte ich ihn noch ungläubig 'ein Jahr' flüstern zu hören.

Ich schlief mit den Gedanken an ihn ein und wachte mit dem an mein Jobangebot auf.
Eine Seite in mir zog das Angebot noch nicht einmal in Erwägung. 
Die andere jedoch, die immer lauter zu werden schien, wollte zurück nach London, zurück zu Jules und Alex.
Und ihre Argumente wurden immer besser.
Egal wie ich mich entschied, ich schuldete Henry eine Antwort.
Bis jetzt war ich der Frage nach dem Job in seinen Mails immer geschickt aus dem Weg gegangen, doch er war nicht blöd.
Stöhnend vergrub ich den Kopf im Kissen, blieb kurz so liegen und rollte mich dann aus dem Bett.
Nicht nur musste ich mich bald entscheiden, nein, ich musste auch Sebastian davon erzählen.

Bald.

Großartig.

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