Kapitel 18

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„Arton?", wiederhole ich langsam. Mein Herz schiesst augenblicklich in die Höhe und mein Magen zieht sich zusammen.

„Ja, Arton", wiederholt er langsam. Er schaut mich eindringlich an. Kennt er mich vielleicht? Ich versuche von seinem Gesichtsausdruck zu erkennen, was er denkt, doch es gelingt mir nicht.

„Wie alt ist Arton?", meine Stimme versagt fast bei seinem Namen.

„In deinem Alter etwa", Herr Hader lacht „Wieso interessiert dich das so brennend Mirjeta? Kennst du ihn?", er hebt seine buschigen Augenbrauen hoch.

Ich zucke mit den Schultern und erröte „Nur so." Noch weiss ich ja nicht, ob wir vom selben Arton sprechen.

Herr Hader lächelt, verabschiedet sich kurz von mir und geht aus dem Zimmer raus.

Unerwartet macht sich eine Kälte in meinem Körper breit und ich schaue minutenlang mit starrem Blick auf die Türe, welche er gerade zugeschlossen hat.

Wie viele Menschen sind schon aus meinem Leben gegangen und gekommen? Gerade wie jetzt Herr Hader. Wie oft habe ich die Türe für Menschen offen gelassen, die es nicht verdient haben? Wie oft wurde ich schon enttäuscht? Man sagt, man solle die Türe hinter einer Person zuschliessen, wenn sie geht. Aber wenn wir ehrlich sind: Wir lassen sie alle einen Spalt auf, falls sie doch noch zurückkommt und da sieht man wieder, wie naiv wir sind. Wir hoffen, dass die Menschen, die wir lieben zu uns zurück kommen, aber wenn wir ehrlich sind wissen wir auch, dass wenn sie uns geliebt hätten, sie nie riskiert hätten uns zu verlieren.

Ich krame mein Handy aus meiner Schublade hervor und scrolle durch die MusikApp. Mein Blick bleibt auf das Lied "Majoe feat Philippe - Fallschirm", hängen. Ich tippe drauf, lege mich aufs Bett hin und widme meine Aufmerksamkeit dem Text.

"Du hast einen Traum und so einige Ziele. Die Hürde ist groß - komm, wir lernen zu fliegen. Heute bist du niemand und du siehst Träume platzen. Doch aus kleinen Samen können Bäume wachsen. Welche Schatten werfen, nie mehr im Schatten stehen. Was bringt dir Hass im Leben? Ich will dich lachen sehen. Wir gehen geradeaus, ich seh' keine Grenze. Die Mauern sind hoch, doch wir gehen durch Wände. Dein inneres Feuer ist ein heller Komet. Sie können's nicht löschen, solange die Erde sich dreht. Denn du bist keiner von denen die nur reden, glaub mir, geh' deinen eigenen Weg und lerne auf eigenen Beinen zu stehen - Nur so kommst du weiter im Leben..."

Kann das möglich sein? Kann der Arton den ich kenne wirklich der Sohn von Herr Hader sein? Das muss ja heissen, dass Herr Hader auch Albaner ist? Wenn er aber auch Albaner ist, warum hat er noch nie mit mir albanisch gesprochen? Darf er das nicht?

Ich lege mein Handy wieder weg und wende meinen Blick dem Spiegel zu, welches in der Ecke steht und erschrecke bei diesem Anblick. Meine einst wunderschönen, braunen Haare hängen wie dünne Leinen meinen Kopf, meine glanzlosen Augen sind von schwarzen Augenringen umgeben und meine Haut ist so weiss, wie eine Wand. Ich hebe meine Hand hoch und rufe meinem Spiegelbild zu: „Nur noch die Glatze fehlt und du bist die perfekte krebskranke Tochter."

Ich stehe von meinem Bett auf, betrete mit langsamen Schritten den Balkon und schaue in die Weite. In die prächtige Landschaft die mir entgegenblickt. Eine leichte Brise lässt mein Haar um meine Ohren fliegen. Sie kitzelt meinen Hals und streichelt behutsam meine Backen. Jäh empfinde ich das Bedürfnis vom Balkon runterzuspringen.

Mir schwirren hundert Gedanken durch den Kopf. Sie schwirren kreuz und quer und ich glaube, dass mein Gehirn zu platzen droht. Ich frage mich, warum ich überhaupt hier bin? Wieso bin ich hier? Wieso mache ich das? Wieso kann ich nicht einfach sorgenlos und glücklich sein? Hunderte von Fragen und keine einzige Antwort. Vielleicht will ich auch keine?

Ich halte mich mit beiden Händen am Geländer fest.

Wieso sollte ich mich mit einem langsamen Tod zufriedengeben? Wieso nicht schnell? Wieso sollte ich dem ganzen Hier nicht im Hier und Jetzt ein Ende geben? Bei diesen Gedanken wird mir ganz mulmig. Es ist kein schlechtes Gefühl, welches sich in meinem Körper breitmachte, sondern ein glückliches. Ich empfinde plötzlich ein Gefühl des Glückes, mich aus diesem Leid befreien zu können. Die Lösung wonach ich gesucht habe.

Jetzt stehe ich hier und werfe einen kurzen Blick nach unten. 80 Meter? 100 Meter bis zum Boden? Mir schiessen tausend Gedanken durch den Kopf. Werde ich auf der Stelle tot sein? Wird es wehtun? Ich atme tief ein.

"Entweder gehe ich selber oder er holt mich..."

Fati im ( Mein Schicksal )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt