Kapitel 32

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Als meine Mama das Krankenzimmer verlässt stehe ich mühevoll auf. Mein ganzer Körper tut weh. Ich muss mich ein wenig bewegen, das Blut in meinem Körper zirkulieren lassen. Mama meinte, die ganze Verwandtschaft macht sich Sorgen um mich. Aber da merkt man, dass erst alle an dich denken, wenn du tot oder sterbenskrank bist. Wo sind sie alle, wenn du gesund bist?

Ich fasse mir mit meinen trockenen Händen an den Kopf. Die Krankenzimmertür geht leise auf und Aylin schaut mich mit einem bemitleidenden Blick an. Ich weiss nicht wohin ich schauen soll, also richte ich meinen Blick auf meine Hände, die nun reglos auf meinem Schoss liegen. Aylin macht kleine, zögerliche Schritte auf mich zu. Ich spüre ihre Blicke an mir kleben. „Mirjeta, kann ich dir was bringen? Möchtest du was?"

Ich erhebe meinen Kopf und schaue ihr in die Augen „Ich möchte ein wenig laufen. Ich fühle mich so schwach.", sie nickt und stütz mich mit ihrem Arm. Langsam laufen wir den Gang im Spital entlang zum Weg nach draussen auf den Vorplatz vom Krankenhaus. Wir setzen und schweigend auf ein altes Bänkchen mit der Aussicht zum See.

Ein warmer Wind bläst mir die Haare ins Gesicht. Lächelnd nehme ich sie weg. Meine Gedanken wandern zu Arton. Wie lange habe ich mich nicht bei ihm gemeldet? Was macht er gerade? Denkt er an mich? Ich habe schon seit gefühlten Wochen nicht mehr mein Handy in die Hand genommen. Die Nachrichten die sich angehäuft haben, haben sich bestimmt ins unermessliche angehäuft.

Aylin räuspert sich und ich schaue sie von der Seite an. Sie ist wunderschön, fällt mir auf. „Wie geht's dir Mirjeta?", sie schüttelt gleich den Kopf, dumme Frage denkt sie sich. „Ganz gut.. Also den Umständen entsprechend...", ich lache und schaue in die Weite. Ja, eigentlich geht es mir gut im Moment. Für das, das ich fast nicht mehr gelebt hätte, geht es mir entsprechend gut. „Weisst du, ich bewundere dich...", murmelt Aylin. Ich betrachte sie von der Seite. Sie schaut mit einem leeren Blick in die Weite. „Ich hatte mal eine Phase, da wollte ich mir das Leben nehmen, weil meine Eltern die Liebe zu einem Jungen nicht akzeptiert haben. Er war Kurde und ich bin Türkin. Das ging nicht. Meine Eltern wollten und konnten es nicht akzeptieren...", sie wischt sich mitten in ihrem Satz ihre Tränen weg, die ihr aufgestiegen sind. Eine Gänsehaut überfliegt mich. „Und ich habe ihn geliebt...Ich habe ihn von ganzem Herzen geliebt, verstehst du?", sie schaut mich mit ihren geröteten Augen an. Ich nicke langsam und warte, dass sie mir ihre Geschichte weiter erzählt. „Sie haben mir den Kontakt zu ihm verboten. Zu der Person, zu der ich mich am meisten angezogen, am meisten wohl und am meisten glücklich gefühlt habe. Wenn ich in seinen Armen lag Mirjeta, dieses Gefühl war nicht zu beschreiben...", sie fängt an zu lächeln. Aylin schüttet ihr Herz weiter aus: „...Das Gefühl beschützt, geliebt, geborgen zu sein. Er war alles was ich hatte und ich hatte von diesem Tag an, nichts mehr. Der Kontakt war weg, er war weg, obwohl er mich versprochen hatte, für immer zu bleiben. Er war alles was ich hatte...", Tränen strömen über ihre Wangen und ich nehme sie sanft in meine Arme. Sie weint Sekundenlang, Minutenlang, bis sie langsam anfängt sich wieder zu beruhigen.

„Und dann gibt es Menschen wie dich. Die Angesicht zu Angesicht mit dem Tod stehen und glücklicher sind, als alle, die ihre Gesundheit noch haben. Das Wichtigste, das Wertvollste! Die Gesundheit, die Niemand zu schätzen weiss, bis er es verloren hat. Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.", ein Kloss bildet sich in meinem Hals und ich lasse Aylin wieder vorsichtig los. Sie legt ihren Arm um mich und drückt mich ganz fest. „Mirjeta, ich glaube an dich! Gott hat etwas ganz Grosses mit dir vor." Aylin strahlt über das ganze Gesicht. Ihre vom weinen rotunterlaufene Augen glänzen wieder und ich stimme ihr zu. "Da bleibt mir ja keine andere Wahl!"

Nach einer halben Stunde gehen wir wieder langsam ins Krankenhaus herein. Raus zu gehen, war die beste Idee die ich bis jetzt hatte. Mit Aylin zu sein, fühlt sich so real, so gut und warmherzig an. Sie wird ab nun die Einzige sein, die jeden Tag bei mir ist. Sie wird mir helfen den Kampf zu überstehen. Als wir Arm in Arm zum Empfang laufen, um die Schlüssel zu holen, fällt mir ein Junge auf. Seine Statue, seine Kleidung, seine Haare, seine Ausstrahlung.

Augenblicklich dreht sich der Junge zu um und ich blicke in die meeresblauen Augen von Arton, dessen Lächeln sofort verschwindet.

Fati im ( Mein Schicksal )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt