Kapitel 22

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Mit zitternden Beinen steige ich aus dem blauen Stadttram und laufe geradeaus zum Eisstand am Anfang der Promenade. Hinter mir höre ich das Gepfeife der Jungs, aber ich würdige ihnen keines Blickes. Mein Inneres bebt, ein brennendes Gefühl macht sich in mir breit.

Von Weitem erkenne ich sein muskulöses Profil und sofort pocht mein Herz, wie bei einem Marathonlauf. Arton bemerkt mich und winkt mir lachend zu. Er hat ein weisses Hemd an, dazu schwarze Jeans und rote Allstars.

„Komisch...", er lächelt mich atemberaubend an und gibt mir zwei Küsschen links und rechts.

„Was denn?", ich schaue unsicher auf mein Outfit herunter.

„Als ob es wir abgemacht hätten!", er lacht und nimmt meine Hände in seine und jetzt fällt es mir auch auf. Wir tragen fast denselben Look. Ich fange an los zu lachen und er tut es mir gleich.

„Wollen wir spazieren, Madame?", Er hält mir seinen Arm ganz gentlemanlike hin und ich hacke mich bei ihm ein. Zusammen laufen wir erstmals zum Eisstand und er kauft uns eine Glace. Trotz der Herbstkälte. Dann spazieren wir die Promenade entlang. Der Ausblick auf den weiten See ist einfach herrlich. Die Sonne scheint noch mit ihrer letzen Energie für den heutigen Tag. Der Himmel verfärbt sich in traumhaften Farben.

„Und wie geht es dir?", er schaut mich knuffig von der Seite an und leckt an seinem Eis. Bei diesem Anblick muss ich sofort grinsen. Womit habe ich diesen unglaublich heissen, süssen Typen der gerade neben mich herläuft verdient? Er hält inne und schaut mich fragend an. „Qka po kesh? (Was lachst du?)", fragt er mit einem schiefen Lächeln.

„Nein, nichts. Es sah einfach so süss aus, wie du mich angeschaut hast..."

Er freut sich über mein kleines Kompliment. Wir laufen weiter und ich betrachte ihn weiter mit dem Augenwinkel beim Eis essen. Seine Gesichtszüge sind einfach wunderschön und sein drei-Tage Bart ist einfach perfekt. Was will er von mir? „Übrigens...", er schlingt seinen Arm über meine Schulter und flüstert mir mit leiser Stimme ins Ohr "Du schaust voll gut aus. Wollte ich nur mal so gesagt haben", ich lege schüchtern meine Hand um seine Taille. „Du schaust auch nicht schlecht aus..."

Arton redet wie ein Wasserfall. Er erzählt mir von seinem ganzen Leben, wie er als kleines Kind in Kosovo die Hühner mit Maiskolben gejagt hat und bis am Abend auf die Kühe aufgepasst hat. Ich lache mich bei seinen Kindheitsgeschichten kaputt und er lacht mit. Ich habe das Gefühl, ich würde ihn bereits mein ganzes Leben kennen. Er besucht zurzeit das Gymnasium und will später Jura studieren. Arton erzählt mir, dass er schon früh angefangen hat, sich Sorgen zu machen, wie er alleine eine Familie ernähren will und das der Grund war, wieso er so viel lernte. Er wollte seinen Kindern einfach alles bieten können, so wie er alles geboten bekam. Während dem Gespräch stelle ich fest, dass er ein Familienmensch ist. Nichts hat für ihn eine höhere Priorität, als seine Familie. Das es sowas überhaupt noch gibt?

„Sag mal welcher Religion gehörst du an?", fragt mich Arton wie aus dem Nichts.

„Dem Islam", gebe ich stolz zurück. Ich liebe meine Religion und schäme mich nicht für sie. Ganz im Gegenteil. Trotz all den Terroranschlägen und all den negativen Schlagzeilen rund um den Islam, verleugne ich das nicht.

Arton atmet tief aus. „Gut! Sehr gut!", sein Händedruck wird wieder sanfter. Wahrscheinlich hatte er gerade Angst, dass ich Katholisch bin. Da es bei uns Albanern üblich ist jemanden mit derselben Religion zu heiraten.

„Sag mal glaubst du an ein Leben nach dem Tod?"

Mein Herz lässt einen Schlag aus und ich schaue Arton verwirrt an und halte an.

„Wie...Wie?", ich stottere. „Glaubst du an das Leben nach dem Tod? Ja oder nein?", Arton fixiert mich mit seinem Blick. „Ja, also ich glaube schon. Ich weiss nicht...Ich habe schreckliche Angst davor, vergessen zu werden...Wie alle, die gestorben sind. Verstehst du? Ich meine ich kenne meine Urgrosseltern nicht und genauso wenig werden mich meine Urenkeln kennen..."

Er schaut mich nachdenklich an, verarbeitet mein Gesagtes und nickt. Arton's Händedruck wird fester. Wir laufen gemeinsam zu einem leeren Bänkchen und setzen uns mit dem Blick zum See hin.

„Weisst du, es kommt eine Zeit, in welcher wir alle tot sind. Wir alle. Es kommt die Zeit, in welchem es keine Menschen mehr gibt, die sich erinnern können, dass je irgendwer von uns existiert hat oder dass unsere Spezies je irgendwas geleistet hat. Dann ist keiner mehr da, der sich an Aristoteles oder Kleopatra erinnert und erst recht nicht an dich. Alles, was wir getan, gebaut, geschrieben , gedacht oder entdeckt haben. Alles wird vergessen sein und all das hier hat keine Bedeutung mehr. Vielleicht kommt diese Zeit bald, vielleicht erst in Millionen von Jahren, aber selbst wenn wir denn Kollaps unserer Sonne überleben sollten, überleben wir nicht für immer. Es gab eine Zeit bevor die Organismen zu Bewusstsein kamen und es wird eine Zeit danach geben und wenn es die Unausweichlichkeit des Vergessens ist, die dir Angst macht, dann rate ich dir eins: Ignorier sie einfach. Das ist weiss Gott, was alle anderen tun."

Tränen bilden sich in meinen Augen und ich schaue beschämt auf meine Hände. „Hey...?", Arton schaut mich liebevoll an und nimmt schnell meinen Kopf an seine Brust und umarmt mich. „Mirjet, ich wollte dich nicht zum Weinen bringen...", seine Stimme hört sich leicht verzweifelt an.

Ich zittere. Es ist nicht, dass er mich zum Weinen gebracht hat. Es ist die Tatsache, dass er gar nicht weiss, wieso ich weine. Er nimmt meinen Kopf zwischen seine Hände und wischt mir meine Tränen mit seinen Daumen weg. Ich schäme mich unendlich dafür. Er denkt bestimmt ich bin eine Heulsuse, mit der man nicht über ernste Themen reden kann.

„Mirjet...", Arton fährt sich mit einer Hand durch seine dichten, schwarzen Haare und schaut mich eindringlich an. „Ja?", schluchze ich leise. „Ich... Ich finde dich einfach hinreissend! Ich habe noch nie ein Mädchen wie dich kennengerlernt. Als ich im Park war, da. Ich weiss nicht. Du bist einfach. Ich mag dich sehr, auch wenn ich dich nicht gut kenne. Ich hoffe du gibst mir die Chance, dich immer besser kennen zu lernen...", er schliesst seine Augen und gibt mir einen leichten Kuss auf die Schläfe. „Sei nicht traurig..."

Ich wische mir übers Gesicht und lache. Ein ehrliches Lachen. Mein Inneres bebt, mein Herz schlägt wie verrückt und in meinem Bauch scheint gerade der ganze Zoo ausgebrochen zu sein.

„Arton?", meine Hände zittern. Wie, wie kann ich ihm das sagen? Kann ich ihm das jetzt sagen? Wie soll ich anfangen? Ich kann ihm vertrauen. Ich muss es ihm sagen, sonst ist es zu spät. Jetzt kann er mich noch verlassen, ohne dass ich gross Gefühle für ihn habe. Mein Herz spielt verrückt. Er wird mich verlassen. Niemand will mit jemandem zusammen sein, der jederzeit... „Ja?", er hebt mein Kinn hoch, um mir in die Augen schauen zu können.

„Wer den Regenbogen will, muss den Regen in Kauf nehmen. Nicht wahr?"

Hallo meine Lieben. Heute kommt aufjedenfall noch ein Kapitel, aber morgen habe ich meinen 17ten Geburtstag (yeij) 😄, daher müsst ihr euch bis am Dienstag gedulden 😊 (Vllt, aber auch nicht)

Fati im ( Mein Schicksal )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt