Kapitel 49

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Mein Körper bebt, ich weiss nicht was ich tun soll. Soll ich Hatixhe rufen? Ich schaue umher, in der Küche ist sie nicht, wo kann sie sonst sein? Sie kann mir auch nicht helfen, denke ich nach kurzem Überlegen. Ich setze mich neben Herrn Hader hin und umarme ihn vorsichtig von der Seite. Nach einer Weile gelingt es mir, mich aus meiner Erstarrung zu lösen. „Es wird alles gut...", flüstere ich leise. Wie oft hat man mir das gesagt und ich habe diesem Satz keinen Glauben schenken können und jetzt bin ich die, die es anderen sagt. Völlig überrumpelt von der Situation versuche ich meine Gefühle in den Griff zu bekommen und meine innere Ruhe zu bewahren.

„Schon gut Mirjeta...", er lächelt mich traurig an. Seine blauen Augen sind kühl und glasig. „Habe ich etwas Falsches...?" „Nein, überhaupt nicht, mach dir keine Gedanken", unterbricht er mich. Ich schaue auf meinen Schoss und warte darauf, dass er wieder zu sich findet. Meine Gedanken wandern im Kreis. Ich weiss weder, was ich denken, geschweige denn machen soll. Mir ist vollkommen klar, dass ihn die Situation überfordert. „Majlinda...", holt er mich aus meiner Trance zurück. Ich widme ihm meine Aufmerksamkeit zu. „Sie ist vor kurzem Mutter geworden. Genauer gesagt dann, als du bei uns eingeliefert wurdest...", ich kann mich noch gut daran erinnern. An diesem Tag ist Arton in mein Zimmer hereingestürmt. An diesem Tag durfte ich meinem Engel das erste Mal in die Augen blicken und mich in ihnen verlieren. „Ihr geht es gut. Auch meine andere Tochter Tina ist Gott sei Dank gesund", fährt er leise fort. „Aber mein Sohn...Arton. Du kennst ihn doch, oder?", seine Lippen beben. Ich habe das Gefühl er bricht jederzeit in Tränen zusammen. Ich nicke langsam, als wolle ich versuchen den Damm der Tränen, der zu einstürzen droht, nicht zu brechen. „Ja. Ja, ich kenne ihn. Was ist mit ihm?", frage ich vorsichtig.

Mein Herz rast, als ich die Frage stelle. Ein kalter Schauer läuft mir den Rücken hinunter und meine Kopfhaut fängt an zu prickeln. Will ich es wissen, wissen was mit ihm passiert ist? Möchte ich das wirklich erfahren? Für das bist du ja hierhergekommen flüstert mein Gewissen spöttisch.

Herr Hader schüttelt den Kopf und schliesst seine Augen. Eine Geste die man nur dann macht, wenn man zutiefst schockiert oder traurig ist. Ist er traurig? Oder schockiert? Vielleicht sogar beides? „Er hatte einen Autounfall", sagt er mit bedrückter Stimme. Augenblicklich zieht sich mein Inneres zusammen und das Blut gefriert mir in den Adern. Mir wird auf einen Schlag übel. Ich lasse Herr Hader konfus los und halte mir die Hände vor den Mund. Mein Atem geht stossweise, ich habe das Gefühl keine Luft zu bekommen. Ich habe keine Ahnung, was ich darauf sagen soll. Stattdessen sehe ich ihn nur mit weit aufgerissen Augen an. Allen Anschein nach stehe ich unter Schock. Er hatte einen Autounfall. Einen Autounfall. Arton hatte einen Autounfall. Der Satz wiederholt sich wie eine Mantra in meinem Kopf. Ich schüttle meinen Schädel, als wolle ich ihn vergessen. Den Satz aus meinen Kopf verbannen. Er ist tot? Meine Tränen bannen sich den Weg zu meinen Augen. „Ist...Ist er...", ich kriege den Satz nicht zu Ende, meine Stimme bricht. Ich will es nicht wissen. Ich will nicht, dass meine schlimmste Vermutung wahr wird. „Er liegt im Koma...", unterbricht er mich. Nur vage nehme ich seine Stimme wahr. Als hätte sich in Sekundenschnelle eine Mauer um mich gebildet. Völlig aufgelöst stehe ich abrupt auf und halte mir die Hände an den pochenden Kopf. Meine Tränen laufen mit Literweise die Wangen hinunter. Ich fühle mich schlimm. Herr Hader schaut mich schockiert an und steht ebenfalls auf.

Mein Engel liegt im Koma. „Er ist im Komma?", frage ich verzweifelt „Er ist im Komma? Was ist passiert? Warum?", Herr Hader steht auf und nimmt mich in die Arme. Versucht auf mich einzureden, mich zu beruhigen. „Arton ist am leben. Seine Vitalfunktionen sind gut. Wir müssen Geduld haben", flüstert er auf mich ein. „Er wird doch wieder gesund, oder? Er wird doch wieder gesund, er wird doch wieder zu sich kommen?", meine Beine lassen nach und ich falle schluchzend auf das weiche Sofa.

Mein Kopf hämmert und ich habe eiskalt. Tränen ausgelöst bete ich zu Gott, dass er wieder gesund wird. „Hatixhe!", ruft Herr Hader und die Putzfrau kommt sofort angerannt. „Bitte bring eine Decke und mach dem Mädchen einen Tee." Hatixhe schaut mich bemitleidend an und verschwindet so schnell wie sie gekommen ist wieder. Weiss sie, dass Arton im Krankenhaus ist und um sein Leben kämpft?

Herr Hader setzt sich völlig benommen neben mich. Er weiss nicht wie er sich benehmen soll, wie auch? Er weiss nicht, dass sein Sohn mir viel bedeutet. Dass ich ihn liebe.

„Herr Hader..."

„Enver. Du kannst mich Enver nennen..."

„Was ist passiert?", frage ich schluchzend. „Er hat sich mit jemandem getroffen...", er runzelt die Stirn „Aber ich weiss nicht mit wem, einer alten Freundin oder einem Freund, ich weiss es nicht...", ich halte inne.

Er hat sich mit mir getroffen. Weiss er das wirklich nicht, oder will er mir einfach kein schlechtes Gewissen machen?

Hatixhe unterbricht unser Gespräch. Sie legt mir eine gelbe Flauschdecke über meinen zitternden Körper und überreicht mir einen Tee.

Ich bedanke mich herzlich bei ihr und wärme meine kalten Hände an die warme Tasse. Zitternd warte ich darauf, dass Enver weiterredet. Ich schaue zu ihm hoch. „Aufjedenfall hat er bei einer Kurve die Kontrolle über das Auto verloren und ist in einem Baum reingefahren...", Enver's Stimme bricht. „Er hat es überlebt, aber ich weiss nicht, wie lange er noch im Koma liegen wird. Es hängt alles von ihm ab...", er faltet seine Hände ineinander und schaut Löcher in die Luft. Ich nippe an meinem warmen Holundertee und schliesse die Augen.

Er lebt, das ist die Hauptsache. Wie konnte das passieren? Warum ist er so schnell gefahren? War es wegen mir? War er sauer? Natürlich war er sauer. Ich hätte mich nie mit ihm treffen sollen. Hätte ich gewusst, dass das passieren würde, hätte ich mich nie mit ihm getroffen.

„Wird er wieder ganz gesund werden?"

„Es ist nicht ausgeschlossen...", er lächelt schwach.

Es ist unglaublich wie vertraut wir miteinander umgehen. Als wäre ich seine Tochter, obwohl ich doch nur eine ehemalige Patientin von ihm bin. Sowie alle anderen. „Wollen wir ihn besuchen gehen, nachdem du den Tee getrunken hast?", fragt er vorsichtig.

Ich nicke langsam. Würde Arton das wollen? „Meine Frau und Majlinda sind auch bei ihm, dann lernst du sie kennen. Tina kommt später nach." Ich schlucke.

Soll ich wirklich gehen? Wie werden sie reagieren?

Fati im ( Mein Schicksal )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt