Kapitel 5

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Er hat hohe Wangenknochen, einen drei Tage Bart und Augen, die Eis zum Schmelzen bringen würden. Abrupt bleibt der Unbekannte stehen und schaut mich peinlich berührt an.

„Ehmmm...Ehmmm.... Ich glaube ich bin hier im falschen Zimmer gelandet. Oder?", er lächelt beschämt und fängt an mich von oben bis unten zu bemustern. Dann schaut er sich nochmals die Zimmertür an, auf welcher die Nummer steht. 

Mir wird schlagartig unwohl. Meine Haare sind zu einem hässlichen Dutt gebunden, ich habe ein noch hässlicheres Krankenhaus Gewand und weisse fürchterliche Krankenhauslatschen an und trage kein bisschen Make-up! Ich sehe bestimmt aus wie ein Psycho, das gerade eingewiesen wurde. „Fünf Monate Haft für ein nicht gepflegtes Erscheinungsbild." So etwa lautete das Gerichtsurteil, denke ich mir. 

An seiner linken Hand hängt eine elegante schwarze Uhr. Seine dunklen Haare hat er oben ein bisschen länger und auf den Seiten kürzer. Dieser Junge ist eindeutig ein Frauenschwarm. Er hat beige All Stars an, trägt eine zerrissene Jeans und darüber ein blaues Polo-Shirt.

„Kein Problem." Ganz lässig versuche ich mich an dieses unvorteilhafte Gerät zu halten und so zu tun, als macht es mir überhaupt nichts aus, dass er mich so sieht und hoffe fast schon, dass er mir sagt: „Mirjeta, ich habe heute ein Foto für dich!"

Er lächelt kurz und macht kehrt, läuft einen Schritt, hält inne und dreht sich wieder zu mir um.

Ich erwische mich dabei, wie ich insgeheim hoffe, dass er mich nach meinem Namen oder gar meiner Nummer fragt. So eine bescheuerte Erwartung, dass ich mir mein Lachen verkneifen muss.

„Du weisst nicht zufällig wo die Babystation ist?"

„Keine Ahnung, tut mir leid." Wie wer sehe ich aus? Mike Shiva?

„Kein Problem, Danke. Schönen Abend noch!"

Ich schliesse die Türe hinter ihm zu und verweile noch ein wenig an derselben Stelle stehen, um das eben geschehene nochmals Revue passieren zu lassen. Ist das eben wirklich passiert? Ich tappe wieder aus dem Zimmer, schleiche durch die mit Neonlichter beleuchtete Gänge entlang, auf der Suche nach etwas Leckerem und nicht diesem unappetitlichen Haferbrei, welches sie mir heute schon zweimal aufgetischt und mich gezwungen haben es zu essen. Das Essen landete dann grössten Teils in der Toilette. Welcher Magen hält das aus?

Ich laufe so leise, wie mir nur möglich ist den langen Gang entlang. Höre flüsternde Krankenschwestern, Patienten, die gerade Fernseher schauen und Geschirr, das eingeräumt wird. Nach wenigen Sekunden erblicke ich am Ende des Ganges das grosse Aufenthaltszimmer, in welchem sich gerade eine Familie befindet. Ich erblicke drinnen einen roten Snackautomaten, weshalb ich ohne zu zögern beschliesse mir etwas raus zu lassen.

Als ich die Zimmertür ein bisschen zu laut aufmache und reinlaufe, drehen sich alle Köpfe zu mir um. Es sind die Köpfe eines älteren und eines jüngeren Pärchens und die Köpfe zweier Mädchen etwa meines Alters. Eine davon wahrscheinlich ein paar Jahre älter und das andere Mädchen ein paar Jahre jünger als ich. Die junge Frau sitzt im Rollstuhl und scheint sehr erschöpft zu sein, während der Mann ihr den Nacken massiert. Der Situation entsprechend glaube ich, dass sie soeben gebärt hat und der Mann, der sie liebevoll an den Schultern massiert, ihr Ehemann ist. Das ältere Pärchen, wahrscheinlich die frisch gebackenen Grosseltern, und die zwei Mädchen, wahrscheinlich die Tanten, stehen rund um ein Babybett und bewundern gerade das Säugling.

Ich schreite vorsichtig zum Automaten und entscheide mich für eine Packung M&M's und einen grossen Snickers.

„Oh, wie süss er ist!", sagt das ältere Mädchen mit voller Bewunderung und Liebe in der Stimme. Ein Junge also.

Ich nehme die Süssigkeiten aus dem Automaten raus und will gerade weggehen, halte jedoch nochmals an und drehe mich zu der Familie um; „Ich wünsche euch alles Gute und hoffe, dass der Kleine alt und glücklich wird!" Sie schauen mich alle überrascht an, lächeln und bedanken sich, ehe ich das Aufenthaltszimmer verlasse und mich auf dem Weg zu meinem geliebten Bett mache.

Ich esse die bunten, mit Zucker umhüllten Schokolinsen langsam und genüsslich auf, wobei ich immer vorsichtig sein muss, dass die Nadel, an welchem ich befestigt bin, nicht aus Versehen rausreisse.

Als ich fertig bin, lege ich mich hin und höre der Stille zu. Es hört sich vielleicht bescheuert an, aber die Stille sagt manchmal mehr, als es Wörter oder Sätze jemals tun könnten. Ich mag sie. Man fühlt, wie sich der Raum mit Gedanken und Energie mit Gefühlen und Emotionen füllt. Ich höre Schritte vom Korridor und Schwestern die sich einander Anweisungen geben. Ich höre Kleinkinder, die durch die Gänge rennen und frage mich, ob sie nicht schon längst im Bett sein müssten. Das Tropfen des Hahnes im Badezimmer, das mich in meinen Schlaf begleitet. Tropf, Tropf, Tropf...

Schmerzhaft werde ich von meinem Tiefschlaf gerissen. Ich nehme das unangenehme Ziehen in meiner Brust wahr. Abrupt höre ich auf zu Atmen, in der Hoffnung, dass der Schmerz aufhört, aber im Gegenteil: Es zieht immer fester und fester und raubt mir langsam und quälend die Luft zum Atmen.

Ich fasse mich an die Brust und versuche den Schmerz weg zu massieren, doch er will nicht aufhören. „Pain Demands to be felt = Schmerz verlangt gespürt zu werden", schiesst mir das Zitat vom Film durch den Kopf.

Es fühlt sich an, als wenn jemand mir tausend Messerstiche langsam in die Brust ringt und schnell wieder rauszieht.

Tränen bannen sich den Weg zu meinen Augen und fliessen mir die Wangen runter.                        „Es soll aufhören, bitte dieser Schmerz soll aufhören!", flüstere ich verzweifelt vor mich hin. Ich will mich aufrichten und das Licht anmachen, doch es geht nicht. Ich erleide Höhlenquallen und kann nichts dagegen machen.

Mit letzter Kraft schaffe ich es doch noch auf den Alarmknopf zu drücken, welches sich über meinen Kopf befindet, bevor ich das Bewusstsein verliere.

Fati im ( Mein Schicksal )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt