Kapitel 17

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„Lebe und denke nicht an Morgen, denn wer weiss, vielleicht gibt es keinen Morgen mehr..."

Der Satz hallt wiederholt in meinem Kopf. „Vielleicht gibt es keinen Morgen mehr", Wer hat diesen Brief hinterlassen? Wer hat ihn geschrieben? Was für ein Schicksal hat diese Person erlebt?

Ich schaue mir nun die Rückseite an und tatsächlich ist unten links an der Kante ein „AH", in Schnürchen Schrift geschrieben. Wer könnte das bloss sein?

Meine Eltern kommen mit Herrn Hader rein. Ich packe den Brief schnell in meine Tasche. Herr Hader lächelt mich kurz an und schickt meine Eltern nach Hause. Sie verabschieden sich beide mit je zwei Küssen von mir und verlassen das Zimmer.

Der Arzt schliesst die Türe hinter ihnen zu und wendet sich zu mir. „So Mirjeta, wo wollen wir anfangen?", er nimmt sich einen freien Stuhl und stellt ihn neben mein Bett.

Ich zucke mit den Schultern. Noch weiss ich ja nicht, wie und was alles ablaufen wird.

„Ich habe alles mit deinen Eltern besprochen. Wir werden übermorgen mit der Chemo anfangen. Zuerst fangen wir mit der etwas leichteren Chemo an, um zu schauen ob du diese verträgst..."

Sein Blick ruht fest auf mir und mein Herzschlag verdoppelt sich. Was heisst das, wenn ich sie vertrage? Möchte ich fragen, doch ich scheine meine Stimme verloren zu haben.

„Wenn die erste Chemo anschlägt können wir mit der zweiten, stärkeren anfangen. Bei der ersten Chemo sind die Nebenwirkung Müdigkeit, Stress und Trauer. Du wirst also eine schwere Zeit vor dir haben. Wenn wir mit der zweiten Chemo anfangen, werden dir, so wie dir vielleicht bewusst ist, die Haare ausfallen..."

Automatisch fasse ich mir mit meinen Händen an die Haarspitzen und schaue sie traurig an. Meine schönen Haare. Ich will sie nicht verlieren.

Ich blinzle meine angestauten Tränen weg und schaue Herr Hader an, um ihm klarzumachen, dass er weitersprechen kann. „Du wirst auch des Öfteren Erbrechen müssen, eine andere Nebenwirkung...", Herr Haders Augen ruhen auf mir und mein Hals fühlt sich trocken an. Ich schlucke.

„Mirjeta?", Fragt Herr Hader ernst. Ich schaue ihn an, darauf bedacht, nicht jederzeit los zu heulen.

„Du musst stark bleiben. Du darfst die Hoffnung auf eine Heilung nicht verlieren. Du hast gute Chancen. Befasse dich mit dem Glauben, es wird dir helfen.", unerwartet nimmt er meine Hand in seine und drückt sie fest.

„Herr Hader?", Ich fange leise an zu weinen. Meine Stimme zittert, ich hab das Gefühl sie jederzeit wieder zu verlieren. „Werde ich ganz bestimmt lebend hier rauskommen?"„Das wirst du! Gott hat noch viel mit dir vor. Das tut er dir nicht an, da bin ich mir sicher!", er lächelt. Seine Augen sprechen aber eine andere Sprache. Sie scheinen mir das sagen zu wollen, was er sich nicht zu trauen sagt. Was ist wenn sie zu der Minderheit gehört, die es nicht schaffen?

Ich habe seinen Wörtern mehr Glauben, als der Realität geschenkt.

Herr Hader klärt mich noch darüber auf, was in meinem Körper während der Chemotherapie geschieht.

Er erzählt mir von ehemaligen Patientinnen, welche dasselbe Schicksal wie ich hatten und wie sie lebend aus dem Spital kamen. Er erlaubt mir auch, während der Chemotherapie Zuhause zu bleiben und nur für die Sitzungen zu kommen, das heisst, wenn ich wieder Medikamente in meinen Körper gespritzt bekomme.

Herr Hader steht auf und geht nochmal seine Akte durch. Konzentriert macht er sich einpaar Notizen. Hatte er nicht vorhin ein Lehrergespräch erwähnt? Hat er Kinder? Kenn ich sie?

„Sie, Herr Hader?"

Er wendet seinen Blick zu mir rüber und schaut mich fragend an „Ja Mirjeta?"

„Wie heisst das Kind, von welchem Sie zum Lehrergespräch mussten?"

Er fängt an zu grinsen; „Arton...", mein Herz bleibt stehen.

Arton?

Fati im ( Mein Schicksal )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt