Kapitel 2

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Zigzag Ranger Station

Zigzag, Oregon

11:07

Noch bevor Jennifer ihr Mountainbike gegen die Schuppenwand gelehnt hatte, rannte ihr der zottige Mischlingshund entgegen. Sie stieg ab und empfing ihn mit offenen Armen.

"Hey, Candy! Wie geht es dir? Hast du dich gut erholt?"

Candy sprang an ihr hoch und knurrte zufrieden, als ihm sanft am Rücken kraulte. Jennifer gehörte zu den wenigen Menschen, denen er vertraute.

"Du weißt, dass ich dir was mitgebracht habe, deshalb bist du so freundlich, was?" Sie zog lachend einen Kauknochenaus ihrer Tasche und ließ ihn daran schnuppern. Er schnappte danach. "Ich hoffe, du magst das Zeug. Chip war ganz verrückt danach." Sie ging in die Hocke und sah ihm beim Kauen zu. "Chip ist der Hnd meines Dads. Er hat ihn mit nach Seattle mitgenommen, hab ich dir das schon erzählt? Seine Neue ist angeblich ganz verrückt nach ihm, aber das glaube ich nicht. Eine Anwältin kann nichts mit Hunden anfangen, die hat doch gar keine Zeit dafür. Ich hoffe, Dad kümmert sich um ihn."

Candy hörte ihr nicht zu. Er beschäftigte sich lieber mit dem Kauknochen, biss angestrengt daruf herum und schnappte gierig danach, als er ihm aus dem Maul fiel. Wie immer, wenn er sich freute, wedelte er heftig mit dem Stummelschwanz. Warum er das Bellen verlernt hatte, wusste niemand. Er war den Rangern vor einigen Wochen zugelaufen, bis auf die Knochen abgemagert und mit blutigen Striemen am ganzen Körper, und seitdem bei ihnen in Pflege. So wie es aussah, würde er für immer bei ihnen bleiben.

Jennifer tätschelte ihn liebevoll. Sie war für ihre fünfzehn Jahre recht groß und schlank und 'sehr ansehnlich', wie sich der alte Bud im Druckstore ausgedrückt hatte. Nicht so hübsch, dass sich alle Jungen nach ihr umgedreht hätten, aber attraktiv genug, um bei den Cheerleaders des Highschool-Football-teams mitzumachen. Die Trainerin konnte noch immer nicht verstehen, warum Jennifer den begehrten Job abgeleht hatte.

"Weil ich den Zickenkrieg nicht ausstehen kann und lieber mit meinem Mountainbike durch die Gegend fahre", hatte sie ihrer Mutter erklärt. "Und weil ich keine Lust habe, dreimal die Woche zum Training zu gehen und jeden zweiten Samstag am Spielfeldrand rumzuturnen." Und weil mir die blöde Anmache von Robbie auf die Nerven geht, hätte sie noch sagen können. Robbie war Linebacker, einer der Verteidiger, und hatte es seit Monaten auf sie abgesehen. Dauernd trieb er sich in ihrer Nähe herum. Sie überlegte jetzt schon, wie sie ihm auf halbwegs eleganter Weise absagen konnte, wenn er sie am Ende des nächsten Schuljahres zum Abschlussball einladen würde.

Sie tätschelte dem Hund noch einmalö den Kopf. In ihren Jeans, der karierten Bluse und der Jeansjacke sah sie beinahe wie ein Cowgirl aus, nur trug sie weiße Sneakers statt lederne Cowboystiefel. Ihre honigblonden Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Make-up war ihr lässig, zumindest werktags oder wie jetzt in den Ferien, wenn sie den ganzen Tag im Freien war. Insgeheim hoffte sie wohl auch, dass Robbie sich zurückziehen würde, wenn sie sich jünger und weniger mädchenhaft gab, aber das war leider ein Trugschluss.

"Pass auf das Ding auf, hörst du?", sagte sie zu Candy, der Mühe hatte, den Kauknochen zwischen den Zähnen zu halten. Nach seine Leidenszeit musste er erst mal wieder zu Kräften kommen. "Lass ihn dir nicht wegnehmen!"

Die Tür des Rangerbüros ging auf und Nick Bosworth kam heraus. Der Forest Ranger, ein stattlicher Mann um die vierzig, trug seine Uniform ohne den breiten Hut und begrüßte sie mit seinem zaghaften, beinahe schüchternen Lächeln, das zu einem Mann wie ihm eigentlich nicht passte. Aber ihrer Mutter gefiel es, das hatte sie neulich herausgefunden. "Hallo, Jenn. Du verstehst dich mit Candy, was?"

"Candy ist okay." Sie tätschelte den Hund ein weiteres Mal, ohne das er sich beim Knabbern storen ließ, und stand auf. "Er lässt sich sogar streicheln. vor ein paar Tagen hätte er mich nicht einmal angeschaut. Was sagt der Doc?"

12:48 Die Katastrophe beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt