Kapitel 41

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Mount Hood Lodge

Government Camp, Oregon

13:15 Uhr

Emily war außer sich vor Angst. Sie erlebte den Ausbruch des Mount Hood in ihrem Hotelbüro und ließ beinahe einen Aktenordner fallen, als sie die dunkle Aschewolke über dem Krater sah. "Oh mein Gott!", rief eine Kollegin und der einzige männlich Kollege in der Buchhaltung stieß vor lauter Schreck seinen Kaffeebecher um. Die Druckwelle, die dem Ausbruch folgte, erinnerte an das Erdbeben, das Oregon vor einigen Jahren heimgesucht hatte.

Für einen Augenblick erstarrte alles Leben in dem Büroraum. Wie Schaufensterpuppen blieben Emily und die anderen Angestellten stehen, die Augen weit aufgerissen und auf den ausbrechenden Vulkan gerichtet. Dann löste sich die Erstarrung und Emily warf den Aktenordner auf ihren Schreibtisch und griff nach dem Telefon. Sie wählte die Nummer der Ranger Station, bekam ein Besetztzeichen, versuchte es noch ein paarmal, immer mit dem gleichen Ergebnis. "Jenn! Mein Gott, Jenn!", flüsterte sie, als sie nach draußen rannte.

In der Hotelhalle sah sie den Gouverneur bei den Fernsehleuten von CNN stehen. Sie dachte kurz daran, ihn um Hilfe zu bitten, rannte aber hastig weiter und lief beinahe einen älteren Hotelgast über den Haufen. Sie geriet ins Straucheln, rief eine Entschuldigung und rannte an zwei Polizisten vorbei auf den Angestellten Parkplatz und stieg in ihren Explorer. Viel zu rasant und mit quietschenden Reifen brauste sie vom Parkplatz und bog auf den Highway.

Besonders weit kam sie nicht. Auf der Hauptstraße stauten sich die Wagen, der ganze Ort schien durch den Ausbruch des Mount Hood wie versteinert. Pickups und Personenwagen mit laufenden Motoren, erstarrte Menschen, die alle in eine Richtung zum Krater empor. Eine beinahe gespenstische Anspannung lag über Government Camp. Wie ein drohender Donner rollte das Grollen des mächtigen Berges von den Hängen herunter und breitete sich drohend im Tal des Zigzag Rivers aus.

Emily hupte den wie versteinerten Fahrer eines Pickups von der Straße und suchte sich einen Weg zwischen den chaotisch durcheinanderstehenden Wagen hindurch. Wild hupend und aufgeregt gestikulierend schaffte sie es aus der Stadt herauszukommen. Außerhalb hatte zurzeit des Ausbruchs kaum Verkehr geherrscht und nur wenige Wagen standen am Straßenrand. Emily drückte das Gaspedal durch, bremste scharf vor dem Fahrer eines Lieferwagens, der neben seinem Wagen auf der Straße stand und so angestrengt zum Mount Hood hinaufblickte, dass er sie nicht kommen sah, und fuhr langsam weiter nach Nordwesten. "Bitte, bitte, lass Jennifer nichts passiert sein!", betete sie mit feuchten Augen. "Ihr darf nichts passiert sein...nicht Jennifer!"

Sie erreichte die Abzweigung zur Tanger Station und fuhr zum Bürogebäude. Neben einem Pickup des US Forrest Service parkte sie, stieg aus und war schon auf der Treppe, als sie einen jungen Mann bemerkte, der unschlüssig neben seinem Wagen stand. Er war ungefähr Mitte zwanzig und trug eine leichte Jacke über seinen neuen Jeans. "Kann ich Ihnen helfen?", fragte sie.

"Nein, danke...vielen Dank." Selbst während er sprach, blickte er immer wieder zum Mount Hood hinauf. "David? David White? Sie sind David, nicht wahr?"

"Und Sie müssen Emily sein. Emily Nolan..."

Ihr Lächeln schwand so schnell, wie es gekommen war. "Sie hatten recht", sagte sie, "der Indianer und Sie, Sie hatten beide recht. Die Leute hätten auf Sie hören sollen. Aber jetzt..." Ihre Angst wurde immer erdrückender. "Meine Tochter ist da oben. Meine Tochter und der Ranger, den ich..." Sie wusste nicht, wie sie den Satz vollenden sollte. "Wir müssen sofort etwas unternehmen, David. Kommen Sie...Sie müssen mir helfen!"

Emily wartete, bis White bei ihr war, und öffnete die Tür. Maggie Wilkerson hing am Telefon und unterhielt sich aufgeregt, ein anderer Ranger stand am Fenster und blickte nervös auf den nahen Waldrand, als erwartete er jeden Augenblick, glühende  Lava oder eine Schlammlawine auf ihn zu rollen zu sehen.

12:48 Die Katastrophe beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt