Kapitel 23

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Timberline Trail

Mount Hood National Forest

12:08 Uhr

Das Wetter hatte sich verschlechtert. Westlich vom Mount Hood waren einige dunkle Wolken aufgezogen und der böige Wind roch nach regen. Kein Grund, sich Sorgen zu machen, versprach Ranger Bosworth. Er hatte über Funk mit der Zentrale gesprochen und erfahren, dass nur mit leichten Niederschlägen zu rechnen sei. Am Montag würde wieder die Sonne scheinen.

Doch es lag nicht am schlechten Wetter, dass selbst an einer Touristenattraktion wie den Ramona Falls keine anderen Wanderer zu sehen waren. Das Schmelzwasser eines Gletschers hatte den Trail im Norden unpassierbar gemacht und hielt die meisten Backpacker von einer Wanderung ab. "Wir kehren am Bald Mountian um", sagte der Ranger, "bis dahin ist der Trail okay."

Das bewaldete Tal, in dem die Ramona Falls lagen, bot eine willkommene Abwechslung zu den Geröllhängen, die sie am frühen Morgen überquert hatten. Wie eine grüne Oase lag es inmitten der vulkanischen Wildnis. Vom Rushingwater Creek und dem Sandy River, den sie wenig später überquert hatten, diesmal über eine stabile Brücke und ohne einen Zwischenfall, waren sie über einen gewundenen Pfad durch einen dichten Fichtenwald gestiegen, vorbei an dichtem Gebüsch und moosbedeckten Hängen. Am Ende der Pfades waren die Ramona Falls so unvermittelt aus dem Halbdunkel aufgetaucht, dass die Zwillinge erstaunt stehen geblieben waren. Sonst eher mundfaul, entfuhr Kayla ein begeistertes "Wow!". Alle lachten über den Gefühlsausbruch.

Chris fotografierte die Wasserfälle von allen Seiten, benutzte sein Stativ und lange Belichtungszeiten, um sie möglichst effektvoll ins Bild zu bekommen. Gerade Naturwunder, die besonders häufig fotografiert wurden, forderten ihn heraus. Und er wunderte sich immer wieder, wie man einem Motiv mit etwas Fantasie und Kreativität neue Seiten abgewinnen konnte. Noch war er nicht perfekt, vielleicht würde er es niemals sein, aber er konnte sich auch keinen anderen Beruf vorstellen, der ihm mehr Spaß machen würde, als das Fotografieren.

Jennifer kam nur selten in diese Gegend und zeigte sich von dem einzigartigen Naturschauspiel begeistert. Wie ein durchsichtiger Brautschleier schimmerte das fallende Wasser vor der dunklen Basaltwand. Auf halber Höhe leuchtete ein Regenbogen. Moosbedeckte Felsen zerteilten den Wasserfall im unteren Drittel und ließen schäumende Wirbel entstehen. Nebliges Sprühwasser, so mikroskopisch klein, das man es nur als feuchten Hauch wahrnahm, bildete weißen Dunst vor dem Basaltfelsen.

Nach dem anstrengenden Anstieg genoss Jennifer die kühle Erfrischung. Sie stand an das hölzerne Geländer gelehnt, das den Trail von den Ramona Falls trennte, und hielt ihr Gesicht mit geschlossenen Augen in die Feuchtigkeit.

Als sie die Augen wieder geöffnet hatte und einen Schritt zurückgetreten war, sah sie, dass die meisten anderen genauso beeindruckt von dem Wasserfall waren, sogar Ranger Bosworth, der außer im tiefsten Winter jede zweite Woche hier heraufkam. Aber Bosworth liebte sowieso jeden Winkel und jedes noch so verlassenen Tal dieses Bergmassivs. Mike und Lisa standen wie ein junges Liebespaar am Geländer, erst bei näherem Hinsehen erkannte Jenn, dass nur Lisa ihren Arm um Mikes Hüfte gelegt hatte. Fletcher stand etwas abseits und tatwieder einmal so, als würde ihn die ganze Sache nichts angehen. er war ein unberechenbarer Typ, der sofort ausrastete, wenn ihm etwas nicht in den Kram passte, und der anscheinend zu den unverbesserlichen Machos gehörte, die immer das Sagen haben mussten.

"Hau endlich ab, dummer Köter!" ,fauchte er,als Candy wieder einmal seine Nähe suchte. Obwohl der Hund ständig von ihm angebrüllt und getreten wurde, schien er einen Narren an ihm gefressen zu haben. "Bleib mir vom Leib, verdammt!"

Candy blieb winselnd vor ihm stehen und blickte ihn an.

"Zieh Leine, hab ich gesagt!" Fletcher half mit einem Fußtritt nach und griff nach ein einem Stein, als Candy nicht schnell genug verschwand. Als allerdings Ranger Bosworth ihn mit einem strengen Zug um den Mund anblickte, ließ er die Hand mit dem Stein sinken. "Schon gut, schon gut, ich schlage das arme Hündchen schon nicht tot."

12:48 Die Katastrophe beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt