Kapitel 50

106 10 0
                                    

Forest Service Road

Mount Hood National Forest

17:04 Uhr

Als das dumpfe Grollen verstummte und nur noch das Poltern einiger weniger Steine zu hören war, blieben sie stehen. Sie setzten die Trage ab und Jennifer richtete ihre Taschenlampe in das Chaos, dem sie nur um Haaresbreite entkommen waren. Beim Anblick der gewaltigen Staubwolke erschraken sie.

Noch bevor die anderen reagierten, zog Chris sein T-Shirt hoch, hielt es über Mund und Nase und rannte zurück. Die Sicht in dem Staub war so schlecht, dass er beinahe auf die Steine und das Geröll aufgelaufen wäre, die ihren Gang bis zur Decke ausfüllten. Im nebligen Licht der Taschenlampe, die Jennifer in die Staubwolke richtete, räumte er einen Stein nach dem anderen mit den Händen weg. "Fletch!", rief er verzweifelt. "Fletch! Wo steckst du? Sag doch was!"

Von der anderen Seite kam keine Antwort. Er räumte heulend weiter, schaufelte Steine, Geröll und Sand beiseite, bis er vor Erschöpfung zusammenbrach und schwer atmend liegen blieb. "Warum helft ihr mir denn nicht?", fuhr er die anderen an. "Wir müssen Fletch da rausholen! Ihn und...Candy!"

Die Gruppe stand wie erstarrt. Bosworth nahm Blickkontakt mit Jennifer auf und machte eine Kopfbewegung zu Chris hin: "Nun hol ihn schon zurück!" Sie ging zu ihm und legte ihre freie Hand auf seine Schulter. "Chris, wie können ihnen nicht helfen. Du hast doch gesehen, was passiert ist. Das war ein Nachbeben oder der Mount Hood...Fletch und Candy sind..." Sie räusperte sich. "In hundert Jahren kriegst du die Steine da nicht weg. Wir können von Glück sagen, dass wir so einfach davongekommen sind." Sie drückte seine Schulter. "Wir müssen weiter."

"Aber Fletch...wir können doch nicht..."

"Jennifer hat recht", drang die Stimme des Rangers aus der Dunkelheit. In dem gewölbten Gang klng sie seltsam hol. "Wir können ihr nicht helfen. Sobald wir hier raus sind, schicken wir den Katastrophenschutz hoch, wer weiß, vielleicht können die noch was machen. Wir sind diesen Felsen gerade hoffnungslos unterlegen." Einen Augenblick herrschte Stille. "Kommt jetzt! Chris, du gehst voraus. Wir müssen hier so schnell wie möglich weg."

Jennifer legte einen Arm um Chris' Schultern und führte ihn zu den anderen zurück. Er weinte leise. Fletcher hätte ihn wahrscheinlich als Weichei verhöhnt, als Schwächling, der sich von einem Mädchen rumkommandieren ließ. Fletcher.

Plötzlich merkten alle, wie sehr er trotz seiner ständigen Motzerei zur Gruppe gehört hatte.

"Ich bin okay", sagte er nach einem Schluck Wasser.

Sie liefen stumm weiter, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Erst jetzt wurde ihnen klar, was eben passiert war und dass sie noch lange nicht in Sicherheit waren. Ein leises Grollen verriet ihnen womöglich nicht mehr viel Zeit blieb. Der Gedanke trieb sie an, ständig darauf hoffend, dass sich am Ende des Ganges der erhoffte Ausgang auftat.

Jennifer erblickte die Öffnung zuerst. Ein zugewachsenes Loch in der Felswand, groß genug, um einen Menschen hindurchzulassen. Helles Tageslicht fiel in den Höhlengang und spiegelte sich in den Wasserlachen auf dem felsigen Boden.

"Wow!", sagte sie nur.

Die Rettung vor Augen, hasteten sie auf den Ausgang zu. Sie kletterten über das Geröll, das sich vor der Öffnung angesammelt hatte, schleusten vorsichtig den Ranger hindurch und stiegen ins Freie. Auch dort war die Luft alles andere als rein, schon seit  einigen Stunden hingen die Asche und der Rauch gefährlich tief über der Stadt und den Tälern, aber für jemanden, der aus der Höhle kam, war sie die reinste Offenbarung.

Jennifer verstaute die Taschenlampe und blinzelte in die ungewohnte Helligkeit. Selbst das trübe Licht, das die Berghänge wegen der Aschewolke und des Rauchs, der von den brennenden Wäldern aufstieg, schon am Nachmittag überzog, blendete sie nach dem langen Marsch durch die finstere Höhle.

12:48 Die Katastrophe beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt