Kapitel 47

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Slide Mountain

Mount Hood National Forest

15:17 Uhr

Die Enttäuschung, dass der Hubschrauber abgedreht hatte, saß Jenn und den anderen immer noch in den Knochen. Die Rettung war greifbar nahe gewesen und nur wenige Augenblicke später zu einer vagen Hoffnung verkümmert. Wenn der Hubschrauber nicht zurückkehrte, und danach sah es nicht aus, lag die Rettung in weiter Ferne.

Sie hatten vergeblich versucht, den Ranger zum Trail zu schleppen. Zu steil war der Hang, zu lose das Geröll, in dem sie mit der Trage alle paar Schritte den Halt verloren. Mit dem Wind trieb dichte Asche über die Hügel und machte ihnen das Atmen schwer. Mutlos saßen sie zusammen und berieten sich. Fletcher hielt sich sein Halstuch vor den Mund und hustete, die Zwillinge keuchten schwer. Candy lag auf dem Boden und hechelte, als wäre er den ganzen Tag auf Kaninchenjagd gewesen.

"Warum lasst ihr mich nicht zurück?", drängelte der Ranger. Seine Schmerzen hatten etwas nachgelassen, auch wegen der unzähligen Aspirin, die er während der letzten Stunden geschluckt hatte, aber auch er bekam kaum noch Luft. "Ohne mich schafft ihr es vielleicht. Ich...ich warte auf den Chopper."

"Vergessen Sie's", erwiderte Jennifer nur.

Nach weiteren Beratungen beschlossen sie, nach Westen auszuweichen und zu versuchen, den Highway durch das weitere Tal im Südwesten zu erreichen. Dichter Fichtenwald breitete sich in den Niederungen aus. Hinter dem Wald, in ungefähr einer Meile Entfernung, versperrten die Felsmassive des Berges den Weg. Sie würden einen weiten Umweg um die Felsen in Kauf nehmen müssen, wenn sie überhaupt noch eine Chance auf Rettung haben wollten. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.

"Worauf warten wir noch?", fragte Jennifer.

Sie machten sich auf den Weg. In einer anstrengenden Kletterpartie, die länger als eine Stunde dauerte, überwanden sie ein großes Geröllfeld, das sie von dem Wald trennte und mit immer neuen Hindernissen auf sie wartete. Kaum waren sie einem besonders großen Felsbrocken ausgewichen, standen sie vor einem neuen, und selbst im lockeren Kies kamen sie kaum voran, weil sie ständig wegrutschten und mit der schweren Trage kaum das Gleichgewicht halten konnten. Candy lief voraus und drehte sich alle paar Schritte um, als wäre er nicht sicher, dass die anderen nachkamen. Niemand sagte ein Wort.

Die Aschewolke verdunkelte den Himmel und ließ das Geröllfeld in einem seltsam fahlen Licht erscheinen. Ein schmutziger Schleier hing über dem zerklüfteten Land, als wären sie auf einem einsamen Mond gelandet. Außer ihnen gab es keine Lebewesen in dieser Einöde, nicht einmal Eidechsen, Käfer oder Insekten ließen sich blicken. Wy'east, der versteinerte Krieger, hatte alle Tiere und Pflanzen in seiner näheren Umgebung vernichtet und machte sich daran, auch ihnen das Leben schwer zu machen. Als wollte er sie besonders lange leiden lassen und sich darüber lustig machen, wie sie verzweifelt versuchten, einen Weg aus der Wildnis zu finden. Obwohl die Zivilisation nur wenige Meilen entfrernt lag und hinter dem Slide Mountain bereits eine, wenn auch selten benutzte, Schotterstraße wartete, hätten sie sich genauso gut in einer abgelegenen Wüste aufhalen können. Es würde unendlich schwer werden, die rettungskräfte auf der anderen Seite zu erreichen. Aber außer dem Ranger wusste das niemand, Jennifer konnte es nur ahnen. Auf Hubschrauber oder Suchflugzeuge brauchten sie bei dem Wetter nicht mehr zu warten. Ihre Trails war das Land so unübersichtlich wie ein Ozean.

Am Waldrand legten sie wieder eine kurze Pause ein. Der Ranger erinnerte sich an eine Stelle, wo ein schmaler Bach im Moos versickerte, und alle füllten ihre Feldflaschen und tranken ausgiebig. Die heiße Luft und die Asche, die sie immer häufiger einholten, hatten ihre Kehlen ausgetrocknet. Candy wälzte sich im feuchten Moos, vermutlich versuchte auch sie, ihr Fell von der dicken Ascheschicht zu befreien. Der Mount Hood war in einer dunklen, beinahe schwarzen Aschewolke verschwunden.

12:48 Die Katastrophe beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt