Kapitel 25

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Sawmill Meadow

Cascades Mountains, Oregon

18:52 Uhr

Der greise Indianer humpelte über einen schmalen Pfad, der nicht einmal auf den topografischen Karten des Forest Service verzeichnet war. Seine Vorfahren hatten ihn schon vor mehreren Hundert Jahren zur Jagd benutzt. Mit seinem Krückstock kam der Indianer nur langsam voran. Sein Gesicht war von der Anstrengung gezeichnet und er atmete schwer.

John kämpfte sich die steile Wiese hinauf und blieb auf dem Hügelkamm stehen. Böiger Wind  empfing ihn und ließ seine langen weißen Haare wie einen Schleier flattern. Er hielt sich mit beiden Händen an seinen Krückstock fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und kniff seine Augen gegen das gleißende Weiß der Gletscher zusammen. Mächtig und unnahbar ragte Mount Hood nur wenige Meilen von ihm entfernt aus dem kargen Land.

Der alte Indianer sah mehr, erkannte die zornige Miene von Wy'east unter der Maske, die er für die Weißen trug. Der versteinerte Krieger hatte bereits seine Augen geöffnet und starrte mit verächtlichem Blick auf die Menschen, die zu seinen Füßen lebten. In ihm brodelte es. Mit unvorstellbarer Wucht würde sich der Zorn auf die Menschen entladen und er würde sich etliche Opfer holen, bevor sein Hunger gestillt war und er sich wieder zurückzog.

"Warum lässt du dieses Unglück zu, Großer Geist?", rief er. "Was muss ich tun, damit du Wy'east in seinen ewigen Schlaf verharren lässt? Gibt es denn nichts, was dich umstimmen kann? Was kann ich tun? Sprich zu mir!"

Die barsche Antwort des versteinerten Kriegers ließ ihn wissen, dass es keine Möglichkeit mehr gab, den Großen Geist umzustimmen. Das "Große Geheimnis", wie ihn einige seiner Stammesbrüder nannten, würde die bösen Geister und Wy'east gewähren lassen, ihnen die Möglichkeit geben, blutige Rache an den Menschen zu nehmen. So wie er es in Thailand, Japan und in anderen Teilen der Erde getan hatte. Zu viel Leid hatten die Menschen der Natur angetan, viel zu lange hatten sie gesündigt.

Der greise Indianer sah, wie sich die Miene von Wy'east verzerrte. Seine Augen glühten vor Hass und seine angespannte Lippen bildeten nur noch einen dünnen Strich. Er bewegte den Kopf und reckte die Schultern und schrie so laut, dass die Gletscher unter seinem Atem zersprangen. Mächtige Eisbrocken fielen übereinander und stürzten zu Boden. Ein dumpfes Grollen ließ den Boden erzittern, wanderte bis zu dem Hügelkamm, auf dem der Indianer stand, und riss dicht neben ihm die Erde auf. Nur einen halben Schritt neben ihm klaffte plötzlich ein Spalt, handbreit, und heiße Luft stieg aus dem Erdinneren nach oben. Ein kurzer Erdstoß nur, wahrscheinlich auf diesen Ausläufer der Cascades begrenzt, aber heftig genug, um John das Gleichgewicht verlieren und zu Boden stürzen zu lassen. Er ließ den Krückstock fallen und sank in das beinahe kniehohe Gras.

Wie lange er dort saß, vermochte er später nicht mehr zu sagen. Aber eines war klar: Eine Nacht, vielleicht noch den Morgen, dann war es so weit.

12:48 Die Katastrophe beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt