Kapitel 26

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Timberline Trail

Mount Hood National Forest

4:12 Uhr

Mike warf einige Äste ins Lagerfeuer und wärmte seine Hände über den Flammen. Nachts wurde es in den Bergen auch im Hochsommer empfindlich kalt und er frohr trotz seines Anoraks erbärmlich. Nachdem sie ausgemacht hatten, ihr Lager nachts zu bewachen, hatte er die letzte Wache am frühen Morgen von vier bis um sechs übernommen. Die Zwillinge hatten die Schicht vor ihm gemeinsam abgesessen und alles war ruhig. Nun fühlte er sich fast wie in einem Western, wenn der Siedler mit dem Gewehr in den Händen den Treck bewacht.

Mit dem Unterschied, dass Mike außer seinem Taschenmesser keine Waffe besaß. Die einzige Waffe, ein Revolver, befand sich im Ruchsack des Rangers, der sie nur im Augenblick höchster Not gebrauchen würde. Das hatte er ihnen bei der ersten Rast verraten. Es gab andere Mittel, um wilde Tiere vom Lager fernzuhalten. Vor allem hatte ihnen Bosworth eingeschärft, kein Essen herumliegen zu lassen und alle Essensreste im Rucksack zu verstauen oder zu vergraben. In Alaska, wo es wesentlich mehr Grizzlys und Wölfe gab, hingen Wanderer ihre Vorräte sogar an die Bäume.

Mike stand auf und ging ein paar Schritte. Um das Lager herum war dunkle Nacht. Am Himmel waren nur ein Teil des Mondes und der Sterne zu sehen, der Rest lag hinter Wolken verborgen. Die steinigen Hügel, zwischen denen sie lagerten, und die Wälder, die sich unter ihnen ausbreiteten, waren nur als dunkle Schatten zu sehen. Die züngelnden Flammen ließen gespenstische Bilder über das Geröll wandern. Der schneebedeckte Gipfel des Mount Hood ragte unheilvoll über die Hügelkämme empor, seine Gletscher an den steilen Flanken glänzten fahl im blassen Licht des Mondes und der Sterne.

Aus dem Zelt des Rangers drang leises Schnarchen. In den restlichen Unterkünften war es ruhig, auch Candy hatte sich zurückgezogen und schlief im Unterholz des nahen Waldes. Kein Grund, sich zu beunruhigen, selbst wenn ein Grizzly in der Nähe auftauchen sollte. Bis zum Zelt des Rangers waren es nur ein paar Schritte. Doch als Mike ein Augenpaar am Waldrand entdeckte, zwei leuchtende Augen, die ihn unablässig beobachteten, wäre er am liebsten schreiend davongerannt, solche Angst hatte er. Erst als sich die Augen vom Wald lösten und er einen Fuchs über das Geröll laufen sah, beruhigte er sich.

Seit bei den Ramona Falls der Hund verrückt gespielt hatte und die Rehe durch das Unterholz gebrochen waren, spürte Mike eine ungewohnte Nervosität. Wenn Rehe in Panik gerieten und jedes Hindernis niedertrampelten, konnte das mehrere Gründe haben, ein Grizzly oder eine Raubkatze, die ihnen nachstellten, ein plötzliches Feuer und menschliche Jäger, aber manche Wissenschaftler behaupten auch, dass Tiere eine nahende Katastrophe spürten und deshalb aus dem Gefahrengebiet flohen. "Meinen Sie, das mit Candy und den Rehen hat irgendwas zu bedeuten?", hatte er den Ranger gefragt, bevor er das Zelt verlassen hatte. "Das war sicher ein Grizzly", war die Antwort von Bosworth gekommen. "Bei den Falls soll sich seit einigen Monaten ein Grizzly rumtreiben, deshalb war ich auch so nervös, als du mit Lisa weg warst."

Mike verdrängt den Gedanken an den Grizzly, dennoch suchte er zum wiederholten Male den Waldrand nach einer verdächtigen Bewegung ab. Der Fuchs war verschwunden, dafür erhoben sich einige Krähen aus einem Dickicht und stoben krächzend in den Himmel. Mike sucht nach einem Grund für die Aufregung und erkannte, das der Fuchs zurückgekehrt war und die Krähen wohl in ihrer Nachtruhe gestört hatte. Ein einsamer Jäger auf der Pirsch, der sofort wieder zwischen den Bäumen verschwand und sich nicht mehr blicken ließ. So nahe bei den Menschen gab es wohl nichts zu holen.

Leise seufzend kehrte Mike zum Feuer zurück. Candy hatte weder die Krähen bemerkt noch die Witterung des Fuchses aufgenommen. Als Wachhund war er nicht zu gebrauchen. Er schlief friedlich zwischen den Zelten und schnarchte leise vor sich hin. Warum er nicht mehr bellen konnte, würden sie wohl nie herausfinden. Ob er irgendetwas Schreckliches erlebt hatte? Stand er unter Schock? Wenn er sich jemals einen Hund zulegte, würde er ihm als Freund begegnen, so wie ein guter Cowboy seinem Pferd.

12:48 Die Katastrophe beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt