Kapitel 7

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Zigzag Campground

Zigzag, Oregon

9:23 Uhr

Warum Jennifer ihr Mountainbike an diesem Morgen auf die andere Seite des Flusses lenkte, hätte sie nur wiederwillig zugegeben. Wenn überhaupt. Weil die Aussicht dort besonders schön ist, hätte sie einem Fremden geantwortet. Bei ihrer Mutter wäre sie rot geworden. Nicht einmal sich selbst gegenüber hätte sie eingeräumt, das sie hoffte, auf dem Trail am Waldrand den Jungen wiederzutreffen. Für einen Fotografen gab es morgens keinen besseren Platz.

Der Morgen war so schön, wie ihn die freundliche Wetterfee im Fernsehen angekündigt hatte. Kaum eine Wolke trübte den blauen Himmel. Die Sonne ließ die Wälder zu beiden Seiten des Highways wie dunkelgrünen Samt leuchten und brachte den schneebedeckten Gipfel des Mount Hood zum Glitzern. Wie ein mit unzähligen Kristallen übersäter Kegel ruhte er in mitten der grünen Hänge, scheinbar unbeeindruckt von den ungeahnten Kräften, die tief in seinem Inneren brodeln mussten. Wy'east, der zu grauem Fels erstarrte Krieger, hatte seine Waffen niedergelegt und starrte schweigsam zum Himmel empor. Weder die Kälte, die von dem Schnee auf seinen Gipfelhängen und den Gletschern an seinen Flanken kam, noch die Hitze, die aus dem Inneren der Erde nach oben stieg, brachten ihn aus seiner unerschütterlichen Ruhe.

Jennifer hatte heute ein türkisfarbenes Top an, das ihre wohlgeformten Arme noch besser zur Geltung brachte. Der Trail war extrem steil, besonders während der ersten halben Meile, und sie war gezwungen, kräftig in die Pedalen zu treten. Schweiß trat ihr auf die Stirn. Wie immer, wenn sie sich anstrengen musste, fühlte sie sich ganz in ihrem Element. Auch ein Grund, warum sie im Rangerin werden wollte. Sie konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als den ganzen Tag im Freien zu verbringen, obwohl sie sich bewusst war, dass man auch als Rangerin gelegentlich im Büro arbeiten musste.

Sie sah Chris schon von Weitem. Er stand auf einem Felsvorsprung, die Kamera in beiden Händen, und blickte angestrengt durch den Sucher. Ohne es zu wissen, hatte er den idealen Platz zum Fotografieren gefunden, von dort waren auch die Ansichtskarten aufgenommen worden, die man in den Souvenirshops kaufen konnte. Wie gemalt hob sich der Mount Hood gegen den blauen Himmel ab. Fast zu kitschig um wahr zu sein. So sah man den Berg nur selten.

Jennifer stieg vor dem Jungen aus dem Sattel und begrüßte ihn lächelnd. "Hey, Chris! Einen besseren Platz hättest du hier oben nicht finden können."

Der Junge nahm erschrocken die Kamera herunter. "Jenn!", rief er. "Hast du mich erschreckt! Mann, ich hätte vom Felsen stürzen können, und was hätte die Welt dann ohne meine Fotos gemacht?" Er entspannte sich wieder. Sie spürte, wie er sie anerkennend musterte, obwohl er sich lässig gab. "Du siehst...du bist...wirklich sehr sportlich."

Ihr fiel auf, dass er sich die Haare hatte schneiden lassen. Nicht besonders kurz, aber sie waren nicht mehr lang und ungepflegt wie am vergangenen Abend. "Du hast Glück mit dem Wetter", sagte sie, "einfach einmalig, die Aussicht."

"Die Bilder sind schon im Kasten." Er tätschelte seine Kamera. "Ich war schon zum Sonnenaufgang hier. Mit zehn anderen Fotografen. Steht wahrscheinlich in einem Reiseführer, dass man von hier die beste Aussicht hat."

Jennifer lachte. "So ziemlich in jedem. Lass mal sehen..." Sie rückte näher an ihn heran und ließ sich einige Fotos auf dem Display zeigen. Eindrucksvolle Aufnahmen, die besonders von dem orangefarbenen Licht lebten, das am frühen Morgen auf den Gipfelhängen glänzte. Während er die Kamera bediente, streifte er sie mehrmals wie zufällig mit seinem Unterarm. Sie stellte erstaunt fest, dass sie diese kurze Berührung genoss. Er wohl auch, denn als er ihr sein Gesicht zu wandte, um ihre Reaktion beim Betrachten der Bilder zu erkennen, war er wieder ganz schüchtern und errötete sogar.

12:48 Die Katastrophe beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt