Kapitel 18 Teil 2

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Chris war hundemüde und nur noch munter, weil er mit seinen Fotos beschäftigt war.

Er rieb sich die Augen und blickte zum Feuer hinüber. Einen Augenblick hatte er das Gefühl, Jennifer würde in seine Richtung blickte und ihm zulächeln, aber das Feuer warf flackernde Schatten und er konnte sich auch täuschen. Er kniff die Augen zusammen und beobachtete, wie sie in ihrem Rucksack nach etwas suchte, wahrscheinlich nach einem Gewürz, und sich wieder über den Kochtopf beugte. Sie bewegte sich so...'anmutig' war wohl das Wort, das am besten zu ihr passte, und selbst aus der Ferne glaubte er, ihr frisches Gesicht und ihre strahlenden Augen zu erkennen. Allein der Gedanke an ihr Lächeln ließ es in seinem Magen kribbeln, ein seltsames, aber angenehmes Gefühl, das er nicht einmal bei seinem ersten Kuss empfunden hatte.

Warum hatte er ihr nicht gesagt, dass Karen seine Freundin war? Immerhin war er schon seit vier Monaten mit ihr zusammen. Er konnte sie nicht einfach sitzen lassen, ihr wegen einer Urlaubsbekanntschaft den Laufpass geben, und das noch übers Telefon. Noch vor zwei Wochen hatte er sich über einen älteren Mitschüler aufgeregt, der seine Freundin per SMS zum Teufel geschickt hatte. Und der war nur zwei Wochen mit dem Mädchen zusammen gewesen.

Urlaubsbekanntschaft? Bis gestern hatte er Jennifer noch dafür gehalten. Ein nettes Mädchen, mit dem man sich unterhalten und vielleicht sogar ein Eis essen konnte. Dagegen hätte Karen bestimmt nichts gehabt. Sie scherzte auch mit den Typen in der Fotoagentur herum, ohne einen Hintergedanken dabei zu haben. Doch als er Jenn zum zweiten mal getroffen hatte, war irgendetwas mit ihm passiert. Sie hatte ihn verzaubert, durch ihre Stimme, ihr Lächeln, ihre ganze Art. Sie war das Mädchen, von dem er immer geträumt hatte, keine flüchtige Bekanntschaft, die man s´chon auf dem Heimweg vergaß.

Er riss sich von ihrem Anblick los, bildete sich ein, sie spöttisch lächeln zu sehen, und konzentrierte sich noch einmal auf seine Aufnahmen. die Sonne war schon fast hinter den Bergen veschwunden, aber ihm ging es jetzt vor allem darum, den schneebedeckten Gipfel des Mount Hood vor dem dramatisch leuchtenden Himmel abzulichten. in allen Rottönen strahlte das Licht der sinkenden Sonne hinter den scharfen Kanten des Vulkans hervor, wie glühende Lava, die aus dem Krater gedrungen und mit dem Himmel verschmolzen war. Der Berg, starr und ruhig, bildete einen seltsam friedlichen Kontrast dazu.

Der Mount Hood war kein Berg wie jeder andere. Wie ein stummer Wächter ragte er aus dem zerklüfteten Land empor, ein fast dreieinhalbtausend Meter hohe Kegel mit schneebedeckten Gletschern und schroffen Flanken, der vierthöchste Berg der Cascades, einer vulkanischen Bergkette, die sich von der kanadischen Grenze bis nach Kalifornien zog. Sie wanderten in respektvoller Entfernung um den Berg herum, blieben auf dem markierten Trail, der sich mehrere Kilometer vor dem eigentlichen Berg durch die Canyons und Täler und über schmale und schotterbedeckte Bergrücken zog. Eine urwüchsige Landschaft, die das Herz jedes Fotografen höher schlagen ließ.

Zu den stimmungsvollen Fotos, die auf dem Display seiner Kamera aufleuchteten, hätte eigentlich nur eine sanfte Ballade oder absolute Stille gepasst. Mikes helle, etwas nervife Stimme passte nicht dazu, vor allem dann nicht, wenn er wieder einen seiner gefürchteten Vorträge hielt. Er wusste wirklich viel über Vulkane, das musste man ihm lassen, vielleicht sogar mehr als der Ranger, aber wenn er einmal in Fahrt war, konnte man ihn nur schwer bremsen. In der abendlichen Stille waren seine Worte deutlich zu hören:" ...das Magma eines Schichtvulkans ist viel zäher als die glühende Lava eines Schildvulkans wie dem Mauna Loa auf Hawaii. Das kommt von dem hohen Kieselsäuregehalt. Ein ziemlich kompliziertes Thema, da blicke ich selbst noch nicht durch. Ich weiß aber, dass der Gasgehalt des Mount Hood zum Beispiel sehr hoch ist, das würde bedeuten, dass es zu einer gewaltigen Explosion käme, wenn er wirklich mal ausbrechen würde. Beim Mount St. Helens schoss die Asche sechzig Kilometer hoch, das sind über vierzig Meilen, die hing wochenlang als schwarze Wolke in der Luft, das muss ein Anblick gewesen sein."

"Mike hat recht", stoppte Ranger Bosworth den Redefluss des Jungen. "Ich kann mich noch gut daran erinnern. Das einzig Gute an der Aschewolke war, das wir damals schulfrei bekamen." Alle lachten. "Aber jetzt wollen wir erstmal essen. Ich hoffe, ihr habt alle euer Kochgeschirr dabei. Jennifer..."

Chris hörte ihren Namen und geriet erneut ins Grübeln. Außer mit Karen war er noch mit keinem Mädchen zusammen gewesen, und die Vorstellung, mit einem Mädchen oder einer Frau sein ganzes Leben zu verbringen, hatte ihn immer erschreckt. Er war mehr oder weniger in die Beziehung mit Karen hineingeschlittert, sie hatte sich so ergeben, weil sie die gleichen Interessen hatten und bestens miteinander auskamen. Über die ferne Zukunft hatten sie sich keine Gedanken gemacht. Ihm genügte es, eine Freundin zu haben, die ihn mochte und nicht so zickig wie andere Mädchen war. Ganz zu schweigen von der stürmischen Art, wie sie ihn manchmal umarmte und küsste.

Die 'ewige Liebe' hielt er für ein Hirngespinst der Filmemacher und Robanschreiber.  Seine Eltern waren das beste Beispiel, die waren doch nur solange zusammen, weil sie denselben Job hatten und in derselben Kanzlei arbeiteten. Sie mussten zusammen bleiben, wenn sie ihre Karriere und ihre Zukunft nicht gefährden wollten. Ansonsten wäre mit ihnen das Gleiche wie mit vielen Erwachsenen passiert: Sie lebten sich auseinander und ließen sich scheiden oder blieben nur wegen der Kinder oder aus irgendeinem anderen Grund zusammen. Er hatte sich geschworen, mit dem Heiraten so lange zu warten, bis er vollkommen sicher war...wenn über haupt.

Dich Jenn hätte er am liebsten in die Arme genommen und nie mehr losgelassen. Ein seltsames Gefühl, das ihn selbst erschreckte. Er hörte schon seinen Vater: "Stoß dir erst mal die Hörner ab, bevor du 'Ich liebe dich' oder so was sagst." Oder: "Du bist siebzehn, du hast noch viel Zeit. Als deine Mutter und ich geheiratet haben, war ich sechsundsechzig. Lass dir Zeit, Junge!"

"Hey, Chris! Wenn du dich nicht beeilst, ist nichts mehr übrig!" Die durchdringende Stimme von Mike, dem die Wander und am meisten Spaß zu machen schien.

"Ich komme!", rief er zurück.

Warum hatte er Jenn bloß belogen? Ihr weiszumachen, er hätte längst mit Karen Schluss gemacht, war doch vollkommen unnötig gewesen. Warum das blöde Versteckspiel? Warum hatte er ihr keinen reinen Wein eingeschenkt? Es hatte doch gar keinen Anlass gegeben, sie zu beschwindeln. Oder belog er sich schon selbst? War er nur mit Karen zusammen, weil sie ihm bei seiner Karriere helfen konnte? Hatte er gar nicht vor, sue zu verlassen, weil sonst auch seine Hoffnung verschwand, als Fotograf voranzukommen? Unsinn, wies er sich selbst zurecht. Du schaffst es auch ohne sie.

Chris schüttelte sich, als könnte er die quälenden Gedanken abschütteln, und schraubte die Kamera vom Stativ. Sobald sie von der Wanderung zurück waren, würde er wirklich mit Karen Schluss machen. Das nahm er sich fest vor. Dieses Kribbeln im Bauch, das er beim Anblick von Jenn empfand , hatte er bei ihr noch nie gehabt. Sie war ein cool es Mädchen, sah super aus und jeder Junge wäre froh gewesen, mit ihr ein Date zu haben. Nun ja, um Karen brauchte er sich, was das betraf, wohl keine Sorgen zu machen. Sie würde schon einen Ersatz für ihn finden. Und Jenn musste er unbedingt sagen, dass er sie belogen hatte, selbst wenn er Gefahr lief, sie zu verprellen. Was hatte er sich nur dabei gedacht?

"Hey, Chris! Hast du keinen Hunger?"

Er fuhr herum und sah Jennifer in der Dunkelheit stehen. Sie lächelte so liebevoll wie vor dem Sonnenuntergang, nur dass ihr Gesicht in dem Halbdunkel jetzt noch weicher und sanfter wirkte. "Ich...ich...", stammelte er.

Sie lachte. "Du stotterst ja schon. Dann wird's Zeit, dass du was zwischen den Rippen bekommst. Ich hab dir Eintopf übrig gelassen, komm!"

Er folgte ihr stumm und mit weichen Knien.

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12:48 Die Katastrophe beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt