Kapitel 37

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Sandy River

Mount Hood National Forest

12:55 Uhr

Die Schlammlawine kündigte sich mit einem dumpfen Grollen an. Nicht wie ein Erdbeben, eher wie das Getrampel einer Herde Saurier, die mit rasender Geschwindigkeit näher kam. In das Grollen mischte sich ein Rauschen, wie von einem Wasserfall, und das Poltern von gewaltigen Felsbrocken.

Mike und Lisa waren am Ufer des Sandy River entlanggewandert und hatten vergeblich nach einem Weg gesucht, das Flusstal zu überqueren. Sie fanden keinen Pfad, der zu dem eine Viertelmeile tiefergelegenen Fluss hinabführte. Über das Steilufer und die felsige Hänge würden sie mindestens einen halben Tag für die Überquerung des keilförmigen Tales brauchen-

Noch bestand der Sandy River nur aus einem Rinnsal, doch als Mike über das leere Flussbett des Sandy River zum Mount Hood hinaufblickte, entdeckte er eine aufwallende Staubwolke, die dunkel und unheilvoll und mit tanzenden Funken durchsetzt, wie von unsichtbarer Hand gesteuert den leeren Fluss hinabraste und ihnen so schnell und stürmisch entgegenkam, dass man ihr mit den Augen kaum folgen konnte. Sie würde den Sandy River in eine tosende Schlammlawine verwandeln und sogar über die steilen Ufer treten.

Mike erkannte die Gefahr sofort. Ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass Lisa verletzt war, griff er nach ihrer linken Hand und rannte los. "Weg hier!", rief er in das lauter werdende Grollen. "Schnell weg, oder wir sind geliefert!"

"Hey! Mike, was hast du denn??" Sie riss sich humpelnd los.

"Komm schon! Wir haben keine Zeit mehr!"

Er wollte sie vom Rand des keilförmigen Tales wegbringen, in das der Sandy River sein Bett gegraben hatte, und zerrte sie stolpernd über den steinigen Boden. In dem heißen Rauch, der bis zum Sandy River heruntergeweht war, suchte er mit zusammengekniffenen Augen nach eine Deckung. Zwei stumpfe hohe Felsen ragten vor ihnen aus dem Boden.

"Dort. Hinter den Felsen! Schnell!"

Lisa konnte nicht mehr und sank mit einem Aufschrei zu Boden. "Ich kann nicht weg, Mike! Mein Fuß...du musst mich tragen!"

"Wir haben keine Zeit mehr! Jede Sekunde..."

Sie verstand ihn kaum noch vor lauter Lärm. Das Grollen wurde immer lauter, donnerte beinahe noch gewaltiger als der Vulkanausbruch selbst. Sie hörten bereits das Brechen von Ästen und Zweigen und das Splittern von Fels. Wie bei einem Auto, das mit Vollgas über eine verlassene Schotterstraße brettert, folgte die Staubwolke dem Flussbett und schwappte über die Ufer.

 "Okay. Schnell! Spring auf!" Er zog sie vom Boden hoch, ohne auf ihr Jammern einzugehen, drehte ihr den Rücken zu und griff sofort unter ihre Schenkel, als sie sich vom Boden abstieß, alles in einer fließenden Bewegung. Sie mussten die schützende Felsscharte erreichen, wenn sie überhaupt noch eine Chance haben wollten. Hinter den mächtigen Felsbrocken waren sie wenigstens einigermaßen sicher, so hoffte er jedenfalls.

Der Boden unter ihren Füßen begann zu zittern. Im Sand zeigten sich schmale Risse, verteilten sich in Windeseile wie bei brechendem Eis. Nur dass unter dem Sand kein Wasser, sondern brüchige Erde und tiefe Dunkelheit drohten. Es war wie wenige Stunden zuvor, als die Erde gebebt hatte. Sie hatten keinen festen Grund mehr unter den Füßen und Mike stolperte durch den heißen Wind, der vom Krater zu ihnen herunterwehte.

"Was ist das, Mike?" Sie hing verkrampft an seinen Schultern, das verletzte Bein um seine Hüften geschlungen, das andere, vor lauter Schwäche und weil er beim Rennen so gut zupacken konnte, schlaff nach unten hängend. "Das klingt so, als ob..." Sie drehte den Kopf und sah die Staubwolke heranrauschen. "Als ob..."

12:48 Die Katastrophe beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt