Kapitel 8

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Salem Municipal Airport

Salem, Oregon

10:58

Die Gulfstrem rollte gerade auf die Startbahn, als sich das Handy von Gouverneur Rick Bardsley meldete. Er zog es aus der Tasche: "Ja?"

"Gouvernor?" Die unterwürfige Stimme eines Mannes meldete sich. "Roger J. Sampson vom Cascades Volcano Observatory. Wir haben ein Problem."

"Cascades Volcano Observatory?" Der Gouverneur war ein dynamischer Mann mit einer so gleichmäßigen Gesichtsbräune, das sie nur von einem Solarium stammen konnte. Seine dunklen Haare waren nach hintern gekämmt, seine Augen lagen unter buschigen Brauen verborgen. "Was gibt es Mister Sampson? Ich bin gerade mit dem Flieger unterwegs und habe wenig Zeit."

"Ich belästige Sie auch nur ungern, Governor. Drei unserer Seismografen am Mount Hood zeigen veränderte Werte. Auch die geodätischen Daten und die Messung der gravimetrischen und die magnetometrischen..."

"Verschonen Sie mich mit Ihrem Fachchinesisch", fiel ihm der Gouverneur ins Wort. "Reden Sie so, dass es ein Laie wie ich versteht. Und beeilen Sie sich. Ich muss mich auf meine Rede vor dem Ausschuss vorbereiten."

"Tut mir leid." Sampson räuspert sich verlegen. "Es hat einige kleinere Beben am Mount Hood gegeben. Nichts Dramatisches. Wie Sie vielleicht wissen, haben wir öfters kleinere Beben in den Cascades. Dennoch mache ich mir Sorgen. Vor dem Ausbruch des Mount St. Helens vor dreißig Jahren war die Situation ähnlich. Einer meiner Mitarbeiter, ein Junger und sehr ehrgeiziger Mann, hat sich die Mühe gemacht, eine komplizierte Hochrechnung anzustellen. Demzufolge soll es schon am kommenden Montag zu einer Eruption mittleren Grades am Mount Hood kommen. Alarmstufe Gelb."

"Sie machen Witze!"

"Nein, Sir. Wir haben sogar einen genauen Zeitpunkt. Angeblich erfolgt die Eruption um genau 12 Uhr 48."

Der Gouverneur schwieg eine Weile. Er blickte aus dem Fenster und beobachtete scheinbar teilnahmslos, wie die Düsenmaschine über die Startbahn sauste und steil nach oben stieg. "Und wie verlässlich ist diese Hochrechnung, Mister Sampson? Ein junger Mitarbeiter hat sie angestellt, sagen Sie?"

"Ein gewisser David White. Wie gesagt, ein sehr ehrgeiziger und vielleicht auch etwas übereifriger junger Mann, der schon mal über das Ziel hinausschießt, wenn er glaubt, dass es seiner Karriere förderlich ist. Ich habe ihn natürlich gleich in seine Schranken gewiesen und ihm streng untersagt, irgendjemand von seiner Hochrechnung zu erzählen. Man würde ihn nur auslachen. Schließlich sind solche Minibeben schon beinahe eine Alltäglichkeit in unseren Bergen. Dennoch betrachte ich es als meine Pflicht, Sie von seiner Hochrechnung in Kenntnis zu setzten, Governor. Unseren Erfahrungen nach, gerade auch wegen der Ähnlichkeit mit dem Mount St. Helens, sollte man diese Warnhinweise durchaus ernst nehmen. Mag sein, dass White mit seinen Berechnungen weit daneben liegt, aber selbst wenn nur ein Bruchteil von dem stimmt, was er vorausgesagt hat, haben wir ein ernstes Problem. Bei einem Ausbruch des Mount Hood können Menschen zu Schaden kommen, und was dann auf uns zukommt, brauche ich Ihnen nicht zu erzählen."

Die Gulfstream ging in eine weite Linkskurve, überflog die Ausläufer einiger Berge und nahm Kurs nach Norden. In der Kabine des Gouverneurs waren die Düsengeräusche kaum zu hören. Die Maschine lag ruhig in der Luft.

"Malen Sie den Teufel nicht an die Wand!", erwiderte der Gouverneur. Er war froh, dass er allein in seiner Kabine saß und niemand sah, wie blass sein Gesicht geworden war. "Hatten Sie nicht mehrmals gesagt, dass wir solche geringfügigen Bebe öfter in den Cascades haben? Wenn es was Ernstes wäre, hätten mich doch auch die Experten von der University of Oregon angerufen. Soweit ich weiß, laufen die Messungen bei mehreren Observatorien ein."

"Das stimmt, Governor. Ich sage ja auch nur, dass etwas an der Hochrechnung dran sein könnte." Er betonte das letzte Wort. "Sie klingt wirklich sehr plausibel, wenn mir auch Datum und die Zeit eines möglichen Ausbruchs völlig aus der Luft gegriffen zu sein scheint. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass der Mount Hood wirklich ausbricht, liegt sicher unter zehn Prozent."

In das Gesicht des Governeurs kehrte etwas Farbe zurück. "Wenn nicht noch niedriger, Mister Sampson. Ich denke, wir haben es hier mit der Spielerei eines übereifrigen Mitarbeiters zu tun, der sich ein wenig wichtig machen will. Ich würde es als höchst bedenklich und beinahe schon fahrlässig empfinden, eine solche Meldung an die Medien oder irgendjemand sonst weiterzugeben. Also sorgen Sie bitte dafür, dass diese Hochrechnung unter Verschluss bleibt. Wenn ich im Augenblick etwas nicht gebrauchen kann, sind es solche Horrormeldungen, schon gar nicht, wenn sie jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehren. Sie wissen vielleicht, dass einige Mitglieder des Olympischen Komitees in die Cascades unterwegs sind, um sich über unsere geplante Bewerbung für die Olympischen Winterspiele zu informieren. Am Mount Hood sollen mehrere Wettbewerbe stattfinden. Sie können sich doch sicher vorstellen, was eine solche Meldung anrichten würde."

"Natürlich, Sir. Sie wäre verheerend..."

"Verheerend?" Der Gouverneur erschrak über seine eigene laute Stimme und blickte nervös zur Tür. "Verheerend ist gar kein Ausdruck! Wir könnten unsere Hoffnung auf die Spiele begraben. Und was das heißt, ist wohl auch klar: Umsatzeinbußen im Millionenbereich! Die Olympischen Spiele würden für einen ungeahnten Aufschwung in unserer Region sorgen, einen Boom auslösen, wie wir ihn seit Jahrzehnten nicht mehr hatten. Allein der Tourismus würde auf Jahre hinaus von diesem Ereignis profitieren. Die Spiele würden Tausende von Arbeitsplätzen und Umsätze im Millionenbereich bedeuten. Ach, was sage ich...im Milliardenbereich. Ein Aufschwung, der unserer Region, dem Staat Oregon und dem ganzen Land zugutekommt." Er klang jetzt wie ein Wahlkämpfer. "Also lassen Sie uns diesen möglichen Aufschwung nicht durch albernen Zahlenspielereien eines Praktikanten kaputt machen."

"Kein Praktikant..."

"Wie bitte?"

"White ist kein Praktikant. Er ist ein vollwertiger Mitarbeiter."

Der Gouverneur wischte den Einwand mit einer Handbewegung weg. "Auch gut. Bringen Sie den jungen Mann zum Schweigen, haben Sie mich verstanden? Ich möchte nicht, dass irgendetwas von dieser sogenannten Hochrechnung an die Öffentlichkeit dringt."

"Natürlich, Governor. Ich wollte ja auch nur..."

"Schon gut, Sampson. Ich gehe davon aus, dass ich mich auf Sie verlassen kann. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte...ich habe wirklich Wichtigeres zu tun..."

Der Gouverneur legte auf und steckte das Handy weg. Als er aus dem Fenster blickte, sah er den Mount Hood weit unter sich in der Sonne leuchten.

Ein friedliches Bild.

Nichts deutete darauf hin, dass es tief unter dem stillen Vulkan brodelte und sich zähflüssiges und glühend rotes Magma einen Weg nach oben bahnte.

***

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melly

12:48 Die Katastrophe beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt