Kapitel 5

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Blockhaus von Jennifer und Emily Nolan

Government Camp, Oregon

20:17 Uhr

Jennifer und ihre Mutter wohnten in einem zweistöckigen Blockhaus außerhalb von Government Camp, ungefähr auf halben Weg zwischen der kleinen Stadt und dem Hotel Mount Hood Lodge und eine Viertelmeile abseits der Straße. Um das Erdgeschoss zog sich eine schmale Veranda. Unten hatte ihre Mutter ihr Büro und ihr Schlafzimmer, oben wohnte Jennifer. Neben ihrem Zimmer lag ein Gästezimmer, das ehemalige gemeinsame Schlafzimmer ihrer Eltern.Jennifer hatte geduscht und sich umgezogen, trug jetzt einen dunkelblauen Jogginganzug mit dem Logo der Mount Hood Lodge. In dem Hotel, in dem ihre Mutter als Buchhalterin arbeitete, bekam sie die meisten Hotelartikel zum halben Preis. Wie schon vor der Scheidung ihrer Eltern übernahm sie zwangsläufig einen großen Teil der Hausarbeit. Sie machte die Betten, half beim Putzen und Wäschewaschen und kochte sogar, obwohl sie alles andere als eine gute Köchin war. Aber zu Spaghetti mit Shrimps und Muscheln reichte es. Sie hatten die tiefgefrorenen Meeresfrüchte nach dem Rezept, das auf der Verpackung stand, in der Pfanne zubereitet und wartete nur noch darauf, dass die Nudeln garten.

Während sie in das sprudelnde Wasser blickte, wanderten ihre Gedanken zu dem Jungen. Seltsam, dass sie immer noch an ihn dachte. Andere Leute, die sie während ihrer Touren traf, vergaß sie meist gleich wieder. Chris...er hatte den gleichen Namen wie der Streber in Physik, aber dafür konnte er ja nichts. Sonst gab es nichts, was ihn mit den Jungen an ihrer Schule verband, nicht einmal bei den Älteren. In seinen Jeans und seiner Outdoorjacke sah er eher brav aus, er trug keine Sneakers wie die meisten Jugendlichen auf dem Campground, sondern Lederhalbschuhe, und auf seine Frisur legte er anscheinend überhaupt keinen Wert. Robbie hatte immer eine halbe Tube Gel im Haar. Chris gab sich zurückhaltend und plauderte gleichzeitig seine ganzen Probleme aus, strahlte sie fast verliebt an und versuchte nicht einmal, sie zu einem Date zu überreden. In ihrem Jahrgang gehörte es zum guten Ton, schon mal ein Date gehabt zu haben. Chris war etwas ganz Besonderes - oder seltsam.

Oh verdammt, fluchte sie in Gedanken, warum beschäftige ich mich überhaupt mit dem Kerl? Er ist doch nur eine Ferienbekanntschaft. In ein paar Tagenfährt er nach Hause und ich sehe ihn nie wieder. Eine Freundin hatte er anscheinend ja auch. Reiß dich zusammen! Du hast Ferien und willst eigentlich gar keinen Jungen sehen. Das hast du dir während der letzten Wochen doch so oft gewünscht. Die Haustür ging auf und Jennifers Mutter kam herein. Emily Nolan sah wie eine ältere Ausgabe von ihrer Tochter aus, wirkte aber etwas blasser und ihre ebenfalls honigblonden Haare waren nur halblang und mit hellen Strähne. Im Gegensatz zu Jennifer trug sie dezentes Make-up und ein dunkles Businesskostüm, wie es in der Mount Hood Lodge verlangt wurde. Ihren müden Augen sah man an, dass ihr Tag anstrengend gewesen war.

"Hey, Mom!", begrüßte sie Jennifer sie. "Du kommst genau richtig."

"Jenn! Das riecht ja großartig!" Sie schleuderte ihre hochhackigen Schuhe in den Flur und schlüpfte in die bequemen Hausschuhe. "Spaghetti mit Meeresfrüchten? Genau das Richtige nach so einem Tag. Du glaubst ja nicht, was heute Nachmittag los war. Die Leute vom Olympischen Komitee, die am Montag kommen wollten, brauchen ihre Zimmer noch einen Tag länger .Das bedeutet, dass auch die anderen Offiziellen und die Medienvertreter länger bleiben. Wir mussten einige normale Urlauber in andere Hotels umbuchen. So ein Chaos habe ich selten erlebt."

"Dann kommen sie tatsächlich?" Jennifer füllte die Spaghetti in ein großes Sieb und goss das heiße Wasser ab. "Und ich dachte, Oregon zieht die Bewerbung im letzten Augenblick zurück. Hier sollen doch nur die Snowboard-Wettbewerbe stattfinden. Wollen die tatsächlich zu den Skigebieten hoch?"

12:48 Die Katastrophe beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt