Kapitel 49

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Mount Hood Lodge

Government Camp, Oregon

16:59 Uhr

David White stand vor der Panoramafenster in der Lobby und blickte zu der gewaltigen Rauchwolke über dem Mount Hood empor. Die Scheiben waren getönt und ließen sie dadurch noch bedrohlicher erscheinen. Der Berg war kaum noch zu sehen, nur die felsigen Hänge im Südosten, die von größeren Schuttlawinen verschont geblieben waren. Dort glänzten sogar noch die Überreste eines schmutzigen Gletschers im fahlen Tageslicht, eine schmale Insel inmitten der durch Explosionen Feuer zerstörten Bergwelt.

Der Wind hatte gedreht, so wie es White befürchtet hatte, und trieb glühenden Ascheregen Südwesten. Wrbelnde Funken regneten auf die Wälder herab, blieben an den Ästen hängen und ließen die Bäume wie Feuerwerkskörper explodieren. Eine gewaltige Zerstörungswelle raste über die Täler hinweg, und wer immer sich dort draußen noch aufhielt, war ihr rettungslos ausgeliefert. Kein Tier war schnell genug, um einem solchen Feuerregen zu entkommen, nicht einmal die wendigen Wiesel. Und wenn es noch Menschen dort draußen gab, blieb ihnen nur übrig, auf ein Wunder zu hoffen.

Seit er beim Gouverneur gewesen war, stand White vor dem Panoramafenster. Fassungslos und mit Tränen in den Augen sterrte er auf das schaurige Naturschauspiel. Während seiner Studienzeit war er auf Hawaii gewesen und hatte den Kilaues auf der Bid Island, einen seit beinahe dreißig Jahren aktiven Vulkan, beobachtet und fotografiert, aber seine zäh fließende Lava stellte kaum eine Gefahr dar und bot keinen Vergleich zu diesem Bild der Zerstörung. Einen so gewaltigen Ausbruch hatte er bisher nur im Fernsehen und auf dem Monitor seines Computers gesehen. Der Mount St. Helens im Staat Washington, der Merapi in Indonesien, der Cordon Caulle in Chile...jeder Vulkanologe kannte die erschreckenden Bilder dieser Eruptionen.

Doch die Wirklichkeit war anders. Die Panoramascheibe des Hotels bot keinen Schutz vor den Naturgewalten, hielt nicht ab wie ein Monitor, der nur Bilder transportierte. Hier stand er dem tobenden Vulkan direkt gegenüber. Nur wenige Meilen trennten ihn von dem zerstörerischen Feuer, das sich gierig durch die Wälder fraß. Die Hitzewelle glaubte er selbst durch das Fenster zu spüren. Überall liefen und rannten Menschen, von Panik und Angst getrieben, Sirenen heulten und wimmerten, und dazwischen erklangen die lauten Befehle der FEMA-Mitarbeiter und Polizisten, die bemüht waren, die kleinen Ortschaften am Highway so schnell wie möglich zu evakuieren.

White stützte sich mit den flachen Händen an der Scheibe ab und begann zu weinen. Er merkte nicht, wie die CNN-Reporterin ihrem Kameramann einen Wink gab und die Szene für die Abendnachrichten aufnehmen ließ. Gefühlvolle Bilder machten sich immer gut. Er ging auch nicht an sein Handy, das seit einerMinute unaufhörlich klingelte. "Verdammt!", fluchte er nur.

12:48 Die Katastrophe beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt