Kapitel 31

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Timberline Trail

Mount Hood National Forest

8:38 Uhr

Jennifer und der Ranger hatten gerade eine zerklüftete Senke ausgekundschaftet - auch hier hatte das Beben also Spuren hinterlassen -, als das wenige Sonnenlicht, das zwischen den Wolken hindurchfiel, sich auf einigen gelben Reflektoren spiegelte.

Jennifer rannte hin und sah ein gelbes Bärchen am Reißverschluss eines Rucksackes baumeln. "Der gehört Mike", sagte sie. "Sie müssen ganz in der Nähe sein." Sie blickte suchend um und rief: "Mike! Lisa! Seid ihr hier irgendwo?"

Keine Antwort.

Sie lief ein paar Schritte, blickte einen Abhang hinunter und sah zwei Rehe das ausgetrocknete Bachbett des Muddy Creek durchqueren. "Mike! Lisa!"

"Sie sind nicht hier." Ranger Bosworth hatte den Rucksack geöffnet und festgestellt, dass die Trinkflasche fehlte. "Sie haben ihn zurückgelassen, um schneller voranzukommen. Seltsam...das sieht Mike gar nicht ähnlich."

"Lisa hat ihm den Kopf verdreht. Der tut alles, was sie will."

"Hm, oder der Rucksack war aus irgendeinem Grund zu viel Ballast." Der Ranger sah sich noch mal um, sein Blick blieb an den frischen Spalten im Berg hängen. "Könnte sein, dass jemand verletzt wurde und sie sich gegenseitig stützen müssen"

"Dann können sie noch nicht weit sein."

Sie ließen den Rucksack stehen und gingen weiter. Sie hatten gerade erst ein paar Schritte zurückgelegt, als sie ein leichtes Zittern unter ihren Füßen zu spüren glaubten. Durch das Erdbeben im Wald nervös geworden, blieb Jennifer sofort stehen. Ein dumpfes Grollen, bedeutete leiser als vor einigen Stunden, wie Donner, der in weiter Ferne erklang.

"Hören Sie das?", fragte sie. "Sagen Sie bloß, es geht wieder los."

Ranger Bosworth war ebenfalls stehen geblieben. Er lauschte angestrengt, aber das Grollen war bereits verstummt und nur noch der Wind, der leichten Böen über die mit Wildblumen gesprenkelten Wiesenhänge blies, und das Plätschern des Muddy Creek in der vor ihnen liegenden Senke waren zu hören. Der Trail wand sich in zahlreichen Windungen zu dem Wildbach hinab.

"Vielleicht ein Gewitter", sagte er. Überzeugt klang es nicht.

Sie gingen schweigend weiter, jeder in Gedanken versunken. Der Ranger blickte alle paar Schritte zum Mount Hood hinüber, der scheinbar fest verankert aus der zerklüfteten Erde ragte, und auch Jennifer war nervös geworden, trat betont vorsichtig auf, als könnte ein zu fester Schritt die unheilvollen Kräfte unter der Erde wecken. Der Gedanke an Chris, wie sie ihn vom Boden hochgezogen und umarmt hatte, zauberte ein flüchtiges Lächeln auf ihr Gesicht.

Was hatte er ihr sagen wollen? Schon zweimal hatte er zu ihr irgendwas Ernstem angesetzt und beide Male war im entscheidenden Augenblick etwas dazwischengekommen. Was war es, um das er so ein Geheimnis machte? Und was war das überhaupt mit ihnen beiden? Seit dem flüchtigen Kuss bekam sie ihn einfach gar nicht mehr aus dem Kopf. Aus Karen allerdings wurde sie auch nicht schlau, was bedeutete sie ihm?

Wieder ließ ein schwaches Grollen den Boden erzittern. Sie blieben stehen und blickten einander an, beobachteten nervös, wie sich die Erde und einige kleinere Steine von der offen liegenden Wurzel eines umgestürzten Baumes lösten. Ein Eichhörnchen hetzte durchs Unterholz und einen Baum hinauf.

Ranger Bosworth ging auf die Knie und horchte am Boden wie ein Indianer, de eine nahende Büffelherde an der Erderschütterung des Bodens erkennen will. Obwohl der Donner bereits verstummt war, glaubte er, ein unterirdisches Grollen zu hören, als würde sich weit unter der Erde etwas zusammenbrauen.

12:48 Die Katastrophe beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt