Kapitel 45

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Sandy River

Mount Hood National Forest

13:53 Uhr

Der Pfad zum Flussbett des Sandy Rivers hinunter lag so versteckt, dass Mike ihn nur fand, weil Lisa gerade wieder jammerte und ihn bat, eine kurze Pause einzulegen. Er setzte sie vorsichtig auf einen Felsbrocken ab und gab ihr noch mal einen Schluck Wasser zu trinken. Ihre Flasdche hatte sie entgegen seiner Warnung, möglichst sparsam mit dem Wasser umzugehen, längst geleert. Sie war so daran gewönt zu bekommen, was sie sich wünschte, dass sie keine Miene verzog.

"Nicht so viel!", warnte er sie und nahm ihr die Flasche vom Mund. "Wer weiß, wann wir frisches bekommen." Er verschraubte die Flasche und hängte sie an seinen Gürtel zurück. "Mit Wasser muss man sparsam umgehen."

"Hast du 'nen Survival-Kurs mitgemacht?"

Er ignorierte die Bemerkung und kreiste und schüttelte die Schultern. Das Mädchen wurde nach jeder Pause schwerer, zumindest kam es ihm so vor, und sein Rücken schmerzte wie nach dem anstrengendsten Football-Training seines Lebens, das er an seiner Highschool einmal mitgemacht hatte. Nur hatte sich dort kein verzweifeltes Mädchen an seinen Hals gehängt und ständig seinen Kehlkopf eingedrückt. Wären sie doch bloß bei Ranger Bosworth und den anderen geblieben, dann wären sie jetzt vielleicht sogar in Sicherheit. Der Ranger war in dieser Gegend zu Hause und kannte bestimmt Schleichwege, vielleicht sogar eine andere Brücke über das Flussbett. Aber das war jetzt nicht mehr zu ändern.

"Hast du noch Schokolade?", fragte Lisa. Seit sie sich den Fuß verstaucht hatte und er sie huckepack trug, quengelte sie wie ein unzufriedenes Kind. Wenn er sie nicht auch ganz anders kennengelernt hätte, würde er es kaum mehr ertragen.

Er gab ihr einen Schokoriegel, seinen vorletzten. Ihr die Süßigkeiten vorzuenthalten, hätte nichts gebracht. Sie hätte so lange gejammert und gebettelt, bis er nachgegeben hätte. Er kam sich schon wie ein Erwachsener vor, der seine viel zu kleine Tochter auf eine anstrengende Wanderung mitgenomen hate. Auf einer Wanderung, die er mal mit seinen Eltern am Scotts Bluff unternommen hatte, dem gewaltigen Felsenberg am Oregon Trail, waren sie einem Vater mit seinem kleinen Sohn begegnet, daran konnte er sich noch genau erinnern. Der Junge hatte ständig gejammert und keine Ruhe gegeben, bis der Vater ihn auf seine Schultern gehoben hatte. Aber dazu war Lisa zu schwer. Er musste sie auf dem Rücken tragen und dazu ständig festhalten.

Sein Blick richtete sich auf den Mount Hood, wie so oft in den vergangenen Stunden. Die Gefahr war nich lange nicht vorüber. Es konnte jederzeit wieder eine Schlammlawine von den Hängen des Vulkans rauschen. Am Mount St. Helens hatte es eine ganze Reihe von Laharen gegeben und nicht jede suchte sich ein leeres Flußbett auf ihrem Weg nach unten. Manche bahnten sich ihr eigenens Bett und donnerte mit unvorstellbarer Geschwindigkeit von den Hängen, zerstörten alles, was sich ihnen in den Weg stellte. Nein, den Vulkanausbruch hatten sie noch lange nicht überstanden. Und dazu steckte er mit einem gehunfähigen Mädchen in Nirgendwo. Und wenn sie das nähste Mal keine so geeignete Deckung fanden...

"Sieh mal...der Himmel ist ganz schwarz", wunderte sich Lisa.

"Hm, die Asche...der Wind hat gedreht."

"Sieht unheimlich aus. Ganz schön düster, findest du nicht? Und, ist das gefährlich?"

"Nicht, wenn sie so weit über uns ist."

Tatsächlich bereitete ihm die Aschewolke große Sorgen. Auch wenn der Krater im Nordwesten explodiert war und der größte Teil der Asche und die stärksten Lawinen vermutlich dort niedergegangen waren, durften sie sich noch lange nicht sicher fühlen. Das hatte die Schlammlawine auf eindrucksvolle Art bewiesen. Aus dem Krater quoll ständig neue Asche, und wenn der Wind weiter in ihre Richtung blies, würde es nicht mehr lange dauern, bis die Blitze, die mit der Asche kamen, die ersten Waldbrände verursachten.

12:48 Die Katastrophe beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt