Kapitel 40

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Highway 26

Clackamas County, Oregon

13:14 Uhr

David White stand neben seinem Wagen am Straßenrand und blickte entsetzt zum Krater des Mount Hood empor. Zum ersten Mal war er live dabei, wenn ein Vulkan ausbrach. Nach den unzähligen Eruptionen, die über den Monitor seines Computers gelaufen waren, hatte er gedacht, einigermaßen emotionslos reagieren zu können, aber weit gefehlt. Der Anblick der quellenden Aschewolken berührte ihn tief und hielt ihn seit mehr als einer Viertelstunde am Straßenrand fest. Noch in dem Augenblick, als er die gewaltige Explosion gehört hatte, war er an den Straßenrand gefahren und aus dem Wagen gesprungen, hatte nach dem kleinen Feldstecher gegriffen, den er im Handschuhfach mitführte, und wie gebannt auf den ausbrechenden Vulkan gestarrt.

Er hatte recht gehabt, um Punkt 12 Uhr 48 war der Mount Hood ausgebrochen. Die Katastrophe, die er befürchtet hatte, war eingetreten. Der Vulkan spuckte Feuer, Schutt und Asche. Nur dem glücklichen Umstand, dass die Eruption etwas schwächer als damals beim Mount St. Helens ausgefallen war, hatten sie es zu verdanken, dass die Auswirkungen nicht dramatischer waren.

Er griff nach seinem Handy und versuchte zum wiederholten Male, seinen Chef zu erreichen. "David", meldete er sich, nachdem Sampson mit einem knappen "Ja?" geantwortet hatte, "ich bin kurz vor Sandy am Highway 26..."

"David! Da sind Sie ja endlich! Ich habe schon versucht Sie zu erreichen." Seine Stimme klang aufgeregt. "Haben Sie schon mit jemandem gesprochen?"

"Ich habe recht gehabt, Sir...um 12 Uhr 48..."

"Reiner Zufall, David. Ob Sie schon mit jemandem gesprochen haben?"

"Keine Katastrophe, David." Die Stimme seines Chefs wiegelte schon wieder ab. "Nur ein Naturschauspiel, das Sie sich genau ansehen sollten. So was sieht man nicht alle Tage. Was an Ihrer Hochrechnung nämlich nicht stimmt, ist die Stärke der Eruption. Sie fiel wesentlich schwächer aus, als Sie befürchtet haben. Aber ich gebe Ihnen recht, Sie haben gute Arbeit geleistet."

Weiter nichts, dachte White. Ich habe den verdammten Ausbruch vorausgesagt, eigentlich hätte ich eine Auszeichnung verdient! "Aber so schwach schien mir der Ausbruch nicht zu sein", widersprach er. "Sie hätten die Explosion sehen sollen. Die war immer noch stark genug, um große Schäden anzurichten."

"Nun malen Sie den Teufel nicht an die Wand."

"Sie sollten die Aschewolke mal sehen, Sir! Wenn der Wind dreht, könnte sie mit ihren Magmafetzen ganze Wälder anzünden und sogar den Siedlungen am Highway 26 gefährlich werden. Ganz zu schweigen von den permanent austretenden giftigen Gasen und unzähligen Laharen, die noch niedergehen werden."

"Der Wind dreht nicht, jedenfalls nicht gleich. Und Lawinen und Gase sind nach den Messungen, die mir vorliegen, höchstens in einem Umkreis von acht, neun Meilen gefährlich. Das betrifft nur das Naturschutzgebiet rund um den Mount Hood. Kein Grund, die Nerven zu verlieren, David.">

"Wir sollten evakuieren, Sir! Ich könnte..."

"Sie können gar nichts!", schnitt Sampson ihm das Wort ab. "Am wichtigsten bei so einer mittleren Eruption ist es, die Nerven zu behalten. Das gilt auch für Sie. Bewahren Sie bitte Ruhe! Verbreiten Sie keine Schreckensszenarios und vermeiden Sie vor allem, die Menschen in Panik zu versetzten. Ich habe gerade mit dem Gouverneur gesprochen. Er hat ein Büro in der Mount Hood Lodge bezogen und koordiniert von dort alle Einsätze. Er hat mich dringend gebeten, mich mit meinen Äußerungen zurückzuhalten und die angespannte Lage nicht durch unüberlegte Statements zu gefährden. Das gilt auch für Sie, David! Sie haben lediglich die Aufgabe, die Entwicklung zu beobachten und mir fernmündlich Bericht zu erstatten. Geben Sie keine Interviews und erwähnen Sie vor allem Ihre Hochrechnung nicht. Damit würden Sie nur für Unruhe sorgen. halten Sie sich zurück, David! Hören Sie? Halten Sie sich zurück! Sie sollen lernen keine Ratschläge zu erteilen. Wir haben nur Top-Leute und Experten da oben, die brachen Sie nicht. Verstanden, David?

"Ja, Sir. Aber..."

"Nichts aber. Tun Sie, was ich Ihnen sage, sonst ziehe ich sie ab." Sampson verriet seinem jungen Angestellten nicht, dass ihn der Gouverneur ausdrücklich davor gewarnt hatte, die Lage zu dramatisieren. Bardsley wollte die Katastrophe - die durchaus so genannt werden durfte - so klein wie möglich halten, um noch eine Chance für die Olympia-Bewerbung zu bekommen und die Gegend nicht mit einem zu großen Negative-Image zu belasten. Das hatte inzwischen auch Sampson kapiert. Ihm selbst blieb gar nichts anderes übrig, als dem Gouverneur zu gehorchen, sonst würden seine Fehleinschätzungen der letzten Tage gegen ihn verwendet werden. Er seufzte.

"Es ist nur zu Ihrem Besten, David. Sehen Sie sich am Mount Hood um und lernen Sie für die Zukunft. Sie haben gute Arbeit mit Ihrer Hochrechnung geleistet. Dass Sie dabei maßlos übertrieben haben, ist ein Vorrecht der Jugend. Wenn Sie zurück sind, sprechen wir über eine Gehaltserhöhung, okay?"

Sampson legte auf und ließ White ratlos zurück.

12:48 Die Katastrophe beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt