#27 - Nächtliche Geräusche

2K 139 24
                                    

Genau viereinhalb Stunden später saß ich mit gefalteten Händen an dem runden Ratstisch. Ich hatte tatsächlich eine halbe Stunde gebraucht, um ihnen alles zu erklären. Natürlich haben sie mich mit Fragen bombardiert und mir Vorwürfe gemacht, dass ich ihnen nichts erzählt hatte. Tja, das schlechte Gewissen hatte ich schon vorher gehabt, trotzdem hatte ich das richtige getan – das dachte ich jedenfalls.

Nachdem ich auch die letzte Frage beantwortet hatte, die von einer blonden Frau gestellt wurde, die ich auch schon öfters mal hatte hier herumlaufen sehen, lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und atmete erleichtert auf. Ich hatte es hinter mir gebracht. Ich warf einen kurzen Blick zu meinem rechten Sitznachbarn und sah, dass Ryan mal wieder sein unleserliches Pokerface aufgesetzt hatte.

Fast hätte ich geseufzt, aber ich verkniff es mir. Das letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte war ein noch wütenderer Wächter. Seit dem kurzen Gespräch in der Garage hatte ich kein Wort mehr mit ihm gewechselt.

»Sind wie fertig?«, erkundigte ich mich schließlich, um mich von Ryan abzubringen. »Oder gibt's noch mehr Fragen?«

Abernathy ergriff ohne zu Zögern das Wort. »Der Zettel, den dir Samuel gegeben hat«, sagte er, »wo ist er?«

Das war das erste Mal, dass Abernathy etwas gesagt hatte, seitdem ich mich dem Rat geöffnet hatte. Natürlich wollte er die harten Fakten sehen, was auch sonst? Schon bevor ich das Papier in meiner Hosentasche erreichte, spürte ich sein Gewicht. Es pikste mir schon seit einer halben Stunden in die Haut, aber ich hatte noch keine Gelegenheit gehabt, es herauszuholen. Ich war total in meine Geschichte vertieft gewesen und hatte alles andere um mich herum vergessen.

Vorsichtig holte ich den zusammengefalteten und mittlerweile etwas zerknitterten Zettel aus meiner Hosentasche und reichte ihn ihm. Er nahm ihn schweigend entgegen und faltete ihn auseinander.

Seine Augen überflogen die Zeilen rasend schnell. Ein paar Sekunden später runzelte er die Stirn und schaute auf. »Ist das alles?«, war das einzige, was er sagte.

»Ja«, antwortete ich. »Das ist alles.«

Ich erwartete schon fast, dass er laut werden würde, aber er tat das Gegenteil. Er schwieg. Und das machte mir mehr Angst, als dass er mich angeschrien hätte.

Der Rest des Rates sah bestürzt überallhin, nur nicht zu mir. Schließlich dachten sie, dass ich scheiße gebaut hatte. Keiner von ihnen hätte Grace Lorring beschützt, sie alle hätten nur an die Objekte gedacht.

»Was passiert jetzt mit Jake?«, platzte es auf einmal aus mir heraus. »Werdet ihr ihn... umbringen?« Das letzte Wort kam mir nur mit Mühe über die Lippen.

Abernathy starrte mich nun an, als sei ich geisteskrank. »Nein, er könnte nützlich sein«, lautete seine Antwort.

Also würden sie ihn wohl foltern oder so etwas in der Art. Schön, von mir aus, dachte ich mir. Er war ein Arsch – und nicht mein Problem.

Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete ich Abernathy und seine Gefolgsleute. »Fragt ihr ihn auch, weshalb er mir Blut abgenommen hat?«

»Was denkst du wohl?«, meinte die blonde Ratsfrau knapp. »Er wird uns alles erzählen, wenn wir mit ihm fertig sind.«

Na dann.

»Du kannst jetzt gehen«, fügte sie hinzu. »Wir sagen dir Bescheid, wenn wir etwas brauchen.«

Auch wenn ich so etwas erwartet hatte, dass ich nach meiner Erzählung gleich rausgeworfen werden würde, war ich trotzdem etwas beleidigt. So wirkte es nämlich, als würden sie mich nur benutzen wollen und den Rest hinter meinem Rücken machen – was sie auch taten.

Endless WhisperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt