#92 - Eine letzte Hilfe.

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Meine Finger glitten über die raue Duschwand.

Geistesabwesend spülte ich mir das Shampoo aus den Haaren und sah zu, wie die Wassertropfen immer weiter nach unten flossen. Das tat ich jedes Mal, wenn ich unter die Dusche ging, hauptsächlich, um mich abzulenken.

Eigentlich hatte ich auch das Gefühl, dass ich keine einzige Träne mehr vergießen konnte. Nach Liz' Beerdigung waren meine Augen ziemlich geschwollen gewesen und sie hatten sich total verklebt angefühlt. Seitdem lief ich auch ungeschminkt herum und machte mir nicht einmal die Mühe, zu verdecken, wie scheiße es mir ging.

In der Schule begegnete ich öfters unserer Direktorin Mrs Jones, die mich jedes Mal besorgt musterte und mich um ein Gespräch bat, wenn wir uns über den Weg liefen. Als ich dann in ihrem Büro saß und stumm die Wand hinter ihr anstarrte, war ihr klar, dass ich nicht reden wollte.

Wieso auch? Sie würde es eh nicht verstehen.

Jemanden auf diese Art zu verlieren...

Prompt stellte ich die Dusche aus und wickelte mir ein Handtuch um den Körper. Verdammt, ich wollte doch nicht darüber nachdenken und jetzt hatte ich es doch getan.

Vorsichtig trat ich aus der Duschkabine und zog mich an. Zurzeit war eine Jogginghose und ein schlichtes T-Shirt mein Standart-Outfit, egal, wo ich war: je gemütlicher, desto besser. Meine Haare föhnte ich nur ein wenig, dann verließ ich das Badezimmer und trat zurück in das kühle, aber sichere, Schlafzimmer, wo Ryan bereits auf mich wartete.

Er für seinen Teil trug eine schwarze schlichte Hose und ein genauso unauffälliges graues Shirt.

»Bereit fürs Training?«, erkundigte er sich bei mir.

»Klar. Ich mache mir nur eben noch einen Zopf...«

Schnell griff ich nach meiner Haarbürste, um meine nassen Haare irgendwie zu bändigen und schaffte es sie durch das Haarband durchzuziehen.

Zu zweit verließen wir dann die sichersten Räume des ganzen Quartiers und begaben uns auf den Weg in die Trainingshalle.

Ryan lief angespannt neben mir her, als ob jeden Moment uns jemand angreifen könnte. Ich dagegen bekam wieder nur dieses seltsame Gefühl, das mir den Magen umdrehte, denn als wir durch die Tür gegangen sind, wusste ich, dass mir der Verräter begegnen könnte und ich nicht wüsste, wer er war.

Alex war unschuldig, da waren wir uns alle inzwischen sicher. Ryan war vorsichtshalber noch in seinen Kopf eingedrungen und hat sich selbst davon überzeugt. Der Prozess hatte Stunden gedauert, aber danach wusste mein Wächter einfach, dass er es nicht gewesen sein konnte.

Trotzdem wurde Alex jetzt noch streng bewacht. Zwar nicht mehr in seiner Zelle, aber frei bewegen durfte er sich auch nicht alleine durchs Quartier.

»Zoey?«

Überrascht sah ich zu Ryan. In den letzten Tagen hatten wir kaum ein Wort gewechselt. Er ließ mich in Ruhe trauern, wofür ich sehr dankbar gewesen bin. Aber irgendwann musste ich auch mal weitermachen, auch wenn es mir ziemlich schwer fiel, also hatte ich ihn gebeten mit mir zu trainieren. »Ja?«

»Wenn es irgendwas gibt, was ich für dich tun kann«, sagte er und blickte mir direkt in die Augen, »dann sag mir Bescheid und ich machs.«

Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen. »Danke, Ryan. Ich weiß das wirklich zu schätzen.«

Er nickte, seine Mundwinkel hoben sich ein wenig. »Immer.«

In der Trainingshalle war niemand. Es war irgendwann nach fünf Uhr Morgens, aber ich war auch nicht müde. Die letzten Tage hatte ich kaum geschlafen, aber ich konnte auch nicht schlafen. Immer hoffte ich, dass Marylin vor mir auftauchen würde, um mir zu sagen, wer Liz umgebracht hatte, aber sie war nirgendwo zu sehen.

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