#16 - Wo bist du?

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Neben ihr stand Jason. Er sah mich auch nicht an. Keiner würdigte mich auch nur eines Blickes. Es war, als wäre ich für sie unsichtbar.

»Die Frage ist eher, was du hier machst«, erwiderte Liz.

Ryan runzelte die Stirn. »Warum fesselst du mich? Du weißt, dass du mir vertrauen kannst«, sagte er. »Du bist keine Verräterin, nicht wahr?«

Liz antwortete ihm nicht. Sie starrte ihn stumm an.

»Hast du den Mörder deiner Familie gefunden?« Ryan gab nicht so schnell auf.

»Natürlich habe ich das«, entgegnete sie.

»Warum bist du nicht zurück nach Ashford gekommen?«

»Weil er bereits tot war!«, stieß sie plötzlich mit lauter Stimme hervor. »Selbstmord

Entsetzt beobachtete ich die Szene vor mir. Liz war nicht zurückgekommen, weil sie immer noch Rache wollte. Sie hatte in Ashford keinen Frieden gefunden und hier tat sie es nun auch nicht. Liz war auch keine Verräterin, sie war einfach so wütend und verzweifelt.

Ryan schien dasselbe zu denken wie ich. »Du hättest nur anrufen brauchen«, sagte er leise. »Wir hätten dir geholfen, das alles zu überstehen.«

»Du hast doch keine Ahnung!«, zischte sie. Ihr Gesicht war inzwischen rot angelaufen. »Du weißt nicht, wie es sich anfühlt, wenn alles um dich herum auseinander bricht

»Natürlich weiß ich wie das ist!«, rief mein Wächter nun auch lauter. »Meine Mutter ist tot und ihr Mörder war jemand, der mir nahe gestanden hatte. Was glaubst du, wie sich das angefühlt hat?!«

Ein humorloses Lächeln umspielte Liz' Lippen. Sie war blass und sah nicht gerade gut aus. »Die letzten Monate habe ich ein paar Venatori fangen können. Ich habe dabei geholfen, sie zu töten, Ryan. Sie haben das bekommen, was sie verdient haben. Es macht alles so einfacher, dabei zuzusehen, wie sie sterben. Die alten Wächter hier«, sie zeigte auf ihre Umgebung, »wollen Rache. Genau wie ich. Deshalb bin ich hier.«

Oh Gott. Sie hatte wirklich die Hölle durchgemacht. Und sie steckte immer noch drinnen.

»Und Zoey natürlich«, fuhr sie fort. »Sie fühlt sich wichtig und denkt, sie kann alles machen, was sie will. Dabei ist sie einfach nur schwach

Ein Stich durchfuhr mein Herz und ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte. Das war nicht sie selbst, das war nicht meine Liz. Das hier war eine komplett andere Person.

»Ich bin hier«, sagte ich und strich ihr sanft über den Arm. »Du bist nicht du selbst, Liz. Komm bitte nach Hause. Du gehörst nicht hierher

Liz sah plötzlich ihren Arm an, wo ich sie berührt hatte und kratzte sich da. Überrascht nahm ich meine Hand weg und starrte sie an.

»Geh aus meinem Kopf raus«, murmelte sie so leise, dass es kaum zu hören war.

Jason sprach nun auch zum ersten Mal. »Was ist los?«, fragte er sie. Er spürte, dass etwas nicht stimmte.

»Gar nichts«, sagte sie und sah nun wieder zu Ryan. »Du kannst deiner Freundin sagen, dass sie aufhören soll, nach mir zu suchen.«

»Tu nicht so, als würde dich das kalt lassen, Liz«, meinte ich nun und verschränkte die Arme. »Ich weiß, dass du meine Anwesenheit spüren kannst. Du weißt, dass ich hier bin.« Ich trat noch einen Schritt vor und packte sie an den Schultern.

Ihre Augen weiteten sich, als sie wie von Geisterhand – oder auch von mir – berührt wurde. »Lass mich in Ruhe!«, zischte sie und versuchte mich von ihr abzuschütteln. Tja, nur kann man unsichtbare Hände nicht wegschieben.

Endless WhisperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt