#35 - Die Vorgeschichte I

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Je näher wir der Küste kamen, desto mehr Wolken kamen hervor. Die Sonne versteckte sich und ich begann zu frieren. Adrian, der am Steuer saß, bemerkte, dass ich die Arme verschränkte und drehte sofort die Heizung auf. Er warf mir durch den Rückspiegel einen kurzen Blick zu, ich lächelte ihn dankbar an.

»Es begann alles vor vielen Jahrhunderten in Tunesien«, begann Alex schließlich zu erzählen. Ich lehnte meinen Kopf gegen die Scheibe, schloss die Augen und lauschte seiner Erzählung. Skye, die neben mir saß, drehte ihren Kopf zu Alex und hörte ebenfalls aufmerksam zu.

»Um genau zu sein, in der Stadt Tunis«, fuhr er fort und ich begann mir alles bildlich vorzustellen.



Es war einer der heißeren Tage in Tunis, als Zora sich an den heißen Steinen fast verbrannte. Die Steintreppen, die zum Brunnen der Stadt führten und somit auch zum Zentrum, glänzten durch die glühende Sonne. Zora rutschte in ihren ausgeleierten Sandalen in einem unaufmerksamen Moment nach vorne und zischte auf – eher aus Überraschung als Schmerz - , als ihr nackter Fuß auf den heißen Stein kam. Dabei fiel ihr beinahe die kostbare Vase aus den Händen, die sie seit mindestens einer Stunde fest umklammerte. Um diese zu finden, war sie sehr lange gelaufen.

»Pass doch auf, Weib!« Ein Mann in einem orangefarbenen Gewand tauchte neben ihr auf. Er war deutlich verärgert.

Sie entschuldigte sich mit leiser Stimme und machte sich dann eilig davon. Das junge Mädchen ignorierte die darauf folgende Beleidigung, die er ihr hinterher rief und versuchte stattdessen nicht an ihren trockenen Mund zu denken. Er fühlte sich so staubtrocken an, denn sie hatten seit Stunden nichts mehr getrunken oder gegessen. Des weiteren war es so warm, sie schwitzte am ganzen Körper und atmete schwer.

Am liebsten würde sie sich hinsetzen, irgendwo in den Schatten, aber dann dachte sie an ihren kleinen Bruder. Er hatte Hunger, also musste sie sich zusammenreißen und die Vase zu dem Händler bringen, um etwas Geld einzubringen.

Entschlossen lief sie weiter durch die trockenen Straßen. Ein paar Händler sahen sie mit angewidertem Gesichtsausdruck an. Schließlich war sie dreckig, ihre olivfarbene Haut war sandig und ihre braunen Haare waren in einem unordentlichen Zopf zusammengebunden. Sie sah aus wie ein Straßenmädchen, was im Zentrum der Stadt nicht gerne gesehen war. Die Händler liebten vor allem die ausländischen Einkäufer, denn diese waren meist reich und kauften gerne Armbänder und Halsketten. Natürlich gab es hier hauptsächlich auch Gemüsehändler, die alle jeden Tag bei den heißesten Temperaturen draußen waren um Geld zu verdienen. Zora respektierte sie, was sie von den Händlern wiederum nicht erwarten konnte. Deshalb ging sie immer zu Amin. Sie kannte ihn schon seit vielen Jahren.

Einmal, als er bedroht wurde, mitten auf der Straße und keiner Eingriff, war sie da gewesen. Sie wusste nicht wie oder warum, aber sie hatte die Angreifer durch die Luft geschleudert ohne mit der Wimper zu zucken. Alle hatten sie angestarrt, dann war sie schnellstmöglich verschwunden. Die darauf folgenden Wochen war sie untergetaucht, um keine weitere Aufmerksamkeit mehr zu erregen. Sie hatte sich ihren schönen langen Haare abgeschnitten, die ihr vorher bis zur Hüfte gegangen waren. Danach waren sie ihr nur noch bis zur Schulter gegangen, aber inzwischen waren sie wieder länger geworden.

Als sie nach zwei Wochen wieder auf die Straßen gegangen ist, hatte sie Amin wieder getroffen. Er hatte ihr zum Dank angeboten, immer wenn sie es wollte, Gegenstände gegen Geld oder anderes zu tauschen. Zora hatte das Angebot natürlich angenommen. Jeden Tag um die Mittagszeit lief Zora mit Erleichterung zu seinem Laden, denn sie wusste, dass er sie nicht hängen lassen würde.

Auch an dem besagten Tag, lief sie mit der Vase zu Amin, der sie mit einem warmen Lächeln begrüßte, dass ein kribbelndes Gefühl in ihr auslöste.

Endless WhisperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt