#59 - Wiedervereinigung

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Worte konnte nicht beschreiben, was ich in dem Moment fühlte, als ich das kleine Mädchen sah.

Ihr lebloser Körper in den Armen ihrer schluchzenden und verzweifelten Mutter.

Kurz darauf traten zwei Sanitäter vor die beiden und verdeckten sie. Ich wollte stehenbleiben, aber einer der Soldaten packte mich am Arm und zog mich weiter.

Auch wenn ich sie nicht mehr sehen konnte, wusste ich, dass sich dieses Bild für immer in mein Gehirn eingebrannt hatte. Ich würde es nie mehr loswerden.

Genauso wenig wie mein schlechtes Gewissen.

Wären wir heute Abend nicht wegen Payne hergekommen, wäre der Anschlag wahrscheinlich nie passiert, oder? Er musste ja den Anschlag verübt haben, wer konnte es sonst gewesen sein?

Ich sah zu Boden mit Tränen in den Augen und einem derart schlechtem Gewissen, dass ich mich übergeben wollte. Gerade so eben konnte ich mich noch zusammenreißen.

Da waren zwei Dinge, die mich dazu brachten, einen Fuß vor den anderen zu bewegen. Zum einen die kühle Nachtluft, die mich etwas beruhigte und zum anderen der Soldat, dessen Hand um meinen Unterarm gekrallt war.

Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis er mich losließ und ich wieder aufsah.

»Fahrt nach Hause«, befahl er uns, bevor sich die beiden abwandten und mit zügigen Schritten wieder zurück gingen.

Wir standen an einem Straßenrand. Die Sirenen waren nicht mehr ganz so laut, aber trotzdem noch deutlich hörbar. Menschen liefen um uns herum, Autos fuhren so schnell, dass sie fast Leute anfuhren und mittendrin standen Ryan und ich in unseren Hoteluniformen.

»Zoey«, meinte er neben mir.

Ich hörte ihn, drehte mich aber nicht zu ihm. Ich starrte einfach stumm zum Hotel, von dem nun Rauch aufstieg. Von hier unten sah es noch schlimmer aus.

»Zoey!«, versuchte er es erneut.

Ob die Sanitäter das Mädchen vielleicht doch retten konnten? Ich hoffte es sehr.

Ryan verlor die Geduld. Gewaltsam packte er mich, drehte mich zu sich und zwang mich damit ihn anzusehen. Seine Augen sahen erschöpft aus, außerdem hatte er Augenränder. Das ganze machte ihn kaputt, aber er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, indem er nun laut und deutlich mit mir sprach.

»Du musst mir jetzt genau zuhören... Ich weiß, dass das hier schwer ist. Und ich weiß, dass du denkst, dass das hier deine Schuld ist, aber Zoey, nichts, absolut nichts davon ist deine Schuld, okay? Und jetzt reiß dich zusammen, bis wir die anderen gefunden haben.«

Langsam nickte ich. »Du musst mich nicht wie ein kleines Kind behandeln«, erwiderte ich, als er mich losließ. »Ich kann mich schon zusammenreißen.«

Dann holte er sein Handy raus, tippte darauf herum und hielt es an sein Ohr. Nach etwas zwanzig Sekunden fluchte er und steckte es wieder zurück.

»Das Netz ist überlastet«, erklärte er, als er meinen fragenden Blick sah. »Ich kann niemanden erreichen... sie müssen aber in einem Auto in der Nähe sein, so hatten wir es jedenfalls ausgemacht«, fügte er nachdenklich hinzu und scannte mit seinen Augen die Straße ab.

Ich hielt ebenfalls Ausschau nach den anderen, aber es herrschte so ein Chaos, dass wir nicht einmal eine Vermutung aufstellen konnte, wo genau sie gerade waren. Sie konnten überall sein und jedes Auto haben.

»Wir sollten ein Stück die Straße runter, vielleicht haben sie nicht direkt hier geparkt, weil es zu voll ist«, meinte ich.

Ryan stimmte mir zu. Es hatte einfach keinen Sinn hier blöd rumzustehen und durch die Gegend zu schauen. 

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