„Und hab' ich zu viel versprochen?", meint er selbstgefällig.
Ich blicke mich kritisch um. „Du sagtest, es ist dein zweitliebster Platz. Ehrlich gesagt habe ich irgendwas Wunderschönes erwartet. Aber hey, dieses Dach, auf dem es nichts anderes als scharfkantigen Kies gibt, ist auch okay", sage ich neckend.
Er lässt sich auf den Boden fallen und zieht mich dabei mit. Wir liegen dicht beieinander auf dem warmen Kies. Die Sonne brennt gnadenlos hinunter. Es ist einer der heißesten Sommer seit Jahrzehnten. Das verkünden jedenfalls die Nachrichtensender.
Ich schließe die Augen und sehe alles orange. Nach einer Weile des Stillschweigens räuspert Jan sich ernst.
„Der Grund, weshalb wir hier sind, ist...", beginnt er langsam, „Ich habe dir was über meine Vergangenheit zu erzählen. Ich wollte es dir so oder so sagen. Und ich finde, jetzt ist ein ziemlich geeigneter Zeitpunkt. Du bist jetzt seit zwei Monaten Teil meines Lebens. Du solltest es wissen."
Ich schaue nicht zu ihm auf, halte die Augen weiterhin geschlossen. Ich warte geduldig darauf, dass er sich überwindet.
Schließlich spricht er weiter, schneller als am Anfang, mit jedem Wort steigt sein Selbstvertrauen: „Es ist schwierig, darüber zu sprechen. Meistens versuche ich, es zu verdrängen, doch manchmal kommt es dann trotzdem hoch.", er macht eine kleine Pause, „Ich schäme mich dafür. Auch wenn es nichts mit mir zu tun hat. Das ist mir mit den Jahren klar geworden. Also, Lia, bitte versuch', mich nicht mit Mitleid zu überschütten oder so, okay?"
Er klingt beinahe verzweifelt. Schnell nicke ich. Ich will, dass er mir alles erzählt, mir vertraut. Ich möchte die Person sein, auf die er sich verlassen kann, komme, was wolle.
„Meine Mam wurde zwangseingewiesen. In die Entzugsklinik. Und mein Vater... Er ist einfach der größte Idiot, den es auf der Welt gibt. Er hat meine Mam betrogen, was sie überhaupt in die Depression getrieben hat. Und hat uns dann verlassen. Meinen kleinen Bruder Lars und mich. Mein gesamtes Leben ist ein bescheuerter Scherbenhaufen."
Einige Minuten herrscht Stille. Ich muss das alles erst einmal verarbeiten. Ich meine, ich wusste, dass Jan sein Päckchen zu tragen hat, aber dass dieses so... riesig ist. Unwillkürlich zieht sich mein Herz aus Mitleid zusammen.
Ich setze eine neutrale Miene auf und versuche, meiner Stimme keinen zu entsetzten Klang zu verleihen. „Du lebst alleine mit deinem Bruder?", frage ich und kann nicht verhindern, dass meine Hand die seine fester umklammert.
Jan setzt sich ebenfalls auf und schaut mich an. Seine grünen Augen sehen zugleich verletzlich, wie auch gefasst aus. „Nein, wir wohnen bei Nick.", meint er nach einer halben Ewigkeit.
„Dein Blick hat sich verändert", bemerkt er mit zusammengezogenen Brauen, „Du siehst mich an, als wäre ich ein angeschossenes Reh, oder so was."
Ich schüttle den Kopf und ergreife seine beiden Hände. „Ehrlich gesagt, bewundere ich dich dafür, dass du das ausgehalten hast. Ich wäre wahrscheinlich schon früher zusammengebrochen, oder ausgerastet..."
Er lacht tonlos „Ausgerastet bin ich wohl. Lars musste mich davon abhalten, meinen Vater zu verprügeln. Ich war so wütend. Das kannst du dir kaum vorstellen. Deshalb haben sie mich auch rausgeschmissen. Aus der letzten Schule, meine ich. Wir sind hierhergezogen, zu Nick. Ich kannte ihn schon länger. Sein Vater hat uns aufgenommen, Lars und mich.", vorsichtig schaut er auf. „Ich habe nicht mal Nick alles erzählt."
Ich streiche mir verlegen das Haar zurück. „Soll das bedeuten, dass du mich gern hast?", frage ich wie eine Idiotin grinsend.
Er schüttelt ungläubig den Kopf und lacht laut. „Das soll bedeuten, dass ich dich unglaublich gern habe."
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Die Zeit danach
Teen FictionLiebe. Glück. Freude. Trauer. Leidenschaft. Melancholie. Verlassenheit. Hoffnung.... Jedes dieser Gefühle hat es in diese Geschichte geschafft. Zu viel will ich eigentlich nicht verraten. Lest sie selbst und bildet euch ein eigenes Urteil. ******* D...