Danach 31

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„Lia, ich will, dass du nach der Gruppe noch ein paar Minuten bleibst. Ist das okay?", erkundigt sich Aaron.

Ich zucke gleichgültig mit den Schultern. Von mir aus.

Wie schon die ganze Sitzung über straft Pia mich mit beleidigtem Schweigen. Soll sie mich doch ignorieren. Wieso sollte ich mich entschuldigen?

Der Raum entleert sich nach und nach. Nur ich bleibe zurück im Kreis aus Stühlen zurück. Aaron schnappt sich einen Stuhl und zieht ihn näher an meinen, sodass wir uns schließlich gegenüber sitzen.

„Mir ist zu Ohren gekommen, dass du nicht so leicht mit deiner Situation klarkommst, wie du mir weismachen willst.", beginnt er mit seiner sanften, nervigen Stimme.

Super. Pia hat gepetzt. Ich kann dieses Mädchen immer weniger leiden. Ich schiebe das Kinn trotzig vor.

„Ich weiß, dass du mich nicht besonders magst. Dazu braucht man kein Genie zu sein. Aber ob du es glauben willst, oder nicht: Mir liegt etwas an dir, Lia."

Ich ziehe eine Braue hoch und verschränke die Arme vor der Brust. Toll. Aaron hat mich gern. Das hilft mir natürlich aus dem nicht endenden dunklen Loch, in das ich gestürzt war.

Doch Aaron fährt fort, ohne meine abwehrende Haltung zu beachten.

„Ich leite diese Gruppe jetzt bald seit fünf Jahren. Ich tue das, was ich tue, weil ich anderen Menschen, die das Gleiche durchmachen, wie ich es das Pech hatte zu erleben, helfen will."

Ich hebe überrascht den Blick und begegne dem seinen, der starr geradeaus gerichtet ist, als ob er gar nicht mehr zu mir sprechen würde.

„Meine Frau war damals neunundzwanzig Jahre jung. Und Henry war fünf.", seine Stimme versagt an dieser Stelle.

Aus irgendeinem Grund weiß ich, dass Henry sein Sohn war. Die Art, wie er seinen Namen ausspricht ist gequält von Bitterkeit und Trauer. Und doch einem gewissen Stolz, den er seinem Sohn gegenüber hegte.

„Sie waren mir das Liebste auf der Welt. An dem Abend hatten wir einen üblen Streit, Camilla und ich. Wir warfen uns gegenseitig hässliche Dinge an den Kopf. Ich stürzte aus dem Haus und ging in die Bar. Der größte Fehler, den ich je gemacht habe", er lacht kurz und freudlos auf, „Camilla hatte den Gasherd angelassen. Es war typisch. Sie vergaß leicht Dinge, verstehst du?"

Seine Stimme klingt wie unglaublich weit entfernt. Seine Hände sind verkrampft. Es dauert seine Zeit, bis ich mich überwinde, doch ich ergreife sie und drücke sie ganz leicht.

Aarons Mundwinkel zucken leicht. „Ein Funken genügte, um alles in Brand zu stecken..."

Erst wirkt es so, als müsse er weinen, doch dann reißt er sich zusammen, entzieht mir seine Hände und nimmt Haltung an.

„Es gibt drei Arten, mit dem Tod eines geliebten Menschen umzugehen; Die erste ist, einfach weiter sein Leben zu leben und es schließlich vergessen zu können. Die andere ist, übertrieben hilfsbereit zu werden.", an dieser Stelle lächelt er leicht, „Und dann gibt es noch die Art, sich so lange zu grämen, bis es einen schließlich stumpf und zermürbt macht. Man gibt Allem und Jedem die Schuld. Man ist wütend auf die Welt. Man kann nicht akzeptieren, dass es passiert ist."

Aaron sieht mir fest in die Augen. „Zu welcher Art du gehörst, ist deine Entscheidung Lia. Ich habe mich sehr lange gegrämt, mich jedoch zum Schluss aufgerappelt."

Und dann steht er auf und legt mir im Vorbeigehen eine Hand auf die Schulter. Er lässt mich alleine mit meinen dröhnenden Gedanken, die ich gar nicht denken will.

Die Zeit danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt