Davor 38

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„Karlies Eltern übernehmen beide Beerdigungen.", verkündet Nick und setzt sich neben mich auf die Couch.

Ich zappe durch nichtssagende schlechte Talkshows und versuche, nicht zu denken. Bis jetzt hat es hervorragend geklappt.

Ich schalte den Fernseher aus und wende mich Nick zu. Seit Wochen habe ich ihn nicht angesehen. Nicht so richtig meine ich. Seine, früher immer glattrasierten, auf Dauer rot gefärbten Wangen sind bleich und mit Stoppeln besetzt. Das warme Whiskeybraun seiner Augen ist verschleiert von Kummer und Trauer. Außerdem ist er dünner geworden.

„Ich werde meinen Teil dazu beitragen.", flüstere ich. Meine Stimme ist beinahe gänzlich verschwunden.

„Ich weiß.", antwortet er.

Und dann liegen wir uns in den Armen.

Wir weinen beide und halten uns so fest wir können. Und doch ist es nicht fest genug.

Nach einer Weile lösen wir uns voneinander.

Er bricht die Stille als Erster: „Ich gehe weg. Sobald die Beerdigung vorbei ist, ziehe ich mit Lars zusammen zu meiner Tante Muriel."

Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen und ich fühle mich, als würde der Boden unter meinen Füssen weggezogen.

„A-Aber... Was?!", bringe ich heraus, nachdem ich meine Fassung mehr oder weniger zurückgewonnen habe.

Er blinzelt die Tränen weg. „Ich halt' das echt nicht aus. Dieser ganze Schmerz. Und dazu das Begaffen aller Leute, wenn ich einmal das Haus verlasse. Ist das nicht der Junge, der die beiden gefunden hat? Das muss ich mir jeden Tag anhören."

„Es ist auch das Beste für Lars, etwas Abstand von hier zu bekommen. Er muss es ebenfalls verarbeiten.", fügt er hinzu und sieht mich dabei nicht an.

Nach einigen Sekunden frage ich vorsichtig, wie es Lars denn gehe. „Schlecht.", kommt die Antwort brüsk.

Ich merke, dass er nicht über Lars reden will. Ich weiß, dass er das Gefühl hat, nun die Verantwortung für den Jungen zu haben. Aber Lars ist lediglich ein Jahr jünger als wir. Er hat Angst, an Jans Stelle treten zu müssen.

Ich verstehe das.

Doch im Moment kann ich nur daran denken, dass er mich alleine lässt. Er lässt mich im Stich und haut mit Lars ab, dem letzten Überbleibsel Jans. Und ich muss zugeben, dass es mir hier und jetzt schwerfällt, ihn nicht dafür zu hassen.


Die Zeit danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt