Ich starre mein Spiegelbild an.
Das schwarze Kleid lässt meine ansonsten schon bleiche Haut noch blasser wirken. Es ist aus Spitze und geht mir bis zu den Knien. Eleganter als das meiste, was in meinem Schrank hängt.
Meine Augen werden von dunklen Schatten umrandet. Das ansonsten helle Grau der Iris sieht heute wie geschmolzenes Silber aus; zähflüssig und dunkler als normal.
Ich zupfe am Saum des Kleides herum.
Ich kann kaum atmen.
Es ist, als würde ein Gewicht meine Brust permanent zusammendrücken. Ich kann nicht atmen, drohe langsam, Stück für Stück zu ersticken.
Meine Augen brennen unangenehm. Sie wollen weinen, haben aber keine Tränen mehr.
Meine Mam klopft leicht an den Türrahmen meiner offenen Tür.
„Bereit, Süße?", will sie leise wissen.
Ich zucke mit den Schultern.
Bin ich bereit?
Bereit dafür, meine besten Freunde zu Grabe zu tragen?
Es macht mich beinahe wahnsinnig, dieses Wissen, dass sie in wenigen Stunden mehrere Meter unter der Erde ruhen werden.
Früher hatten Karlie und ich Mutproben aufgestellt, wer es länger auf dem örtlichen Friedhof aushielt, ohne schreiend davonzulaufen. Der Gedanke, dass sie am Ende gewonnen hat, lässt meine Lider schwer vor Müdigkeit werden.
Ich bin so müde...
Die ganze Trauer verlangt einem eine abnorme Kraft ab.
Ich will mich bloß noch hinlegen und schlafen. Will von fernen Fantasiewelten träumen und nicht mehr aufwachen. Ich will diesen ganzen Schmerz nicht mehr spüren. Es ist kaum auszuhalten.
Ich setzte mich auf mein Bett und beachte meine Mam nicht weiter.
Sie setzt sich neben mich und nimmt meine Hand in ihre.
Sie sagt irgendetwas, ich weiß nicht genau was. Es zieht an mir vorbei, stößt auf taube Ohren.
Ich kann nicht denken, nicht sprechen, nicht hören.
Die Trauer übermannt mich.
Meine Kehle schnürt sich zu.
Und da fasse einen Entschluss, von dem ich weiß, dass ich ihn später bereuen werde.
Mit tränenerstickter Stimme wende ich mich meiner Mutter zu.
„Ich werde nicht gehen.", meine ich.
Meine Mutter schüttelt den Kopf und redet auf mich ein, ich solle keine leichtfertigen Entscheidungen fällen in der Trauer, und dass ich es später nicht verkraften würde, hätte ich mich nicht gebührend von ihnen verabschiedet. Von Karlie und Jan.
Ich blende sie vollkommen aus.
Mir ist es so unvorstellbar egal, was sie zu sagen hat.
Ich kann das nicht.
Karlies Eltern in die Augen blicken.
In gewisser Weise Karlies Augen.
Oder Lars' schmerzverzerrte Miene.
Nick und andere Freunde, die versuchen, mich zu trösten, und die mir sagen, dass alles wieder gut wird.
Weil es das nicht mehr wird.
Vielleicht wird nie wieder alles in Ordnung mit mir sein.
Also starre ich auf die mir gegenüberliegende Wand.
Und warte.
Und warte.
Bis draußen alles dunkel wird.
Und meine Mam wartet mit mir.
Sie sitzt neben mir und wir starren gemeinsam die Wand an, die übersät ist von ihren Malereien.
Und auf eine seltsame Weise spendet es mir Trost, dass sie da ist.
Auch wenn sie nichts sagt oder tut, außer meine Hand zu halten.
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Die Zeit danach
Teen FictionLiebe. Glück. Freude. Trauer. Leidenschaft. Melancholie. Verlassenheit. Hoffnung.... Jedes dieser Gefühle hat es in diese Geschichte geschafft. Zu viel will ich eigentlich nicht verraten. Lest sie selbst und bildet euch ein eigenes Urteil. ******* D...