Davor 32

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Die Ähnlichkeit mit seinem Bruder ist unübersehbar. Der gleiche Haar- und Augenfarbton. Dasselbe Lächeln. Eine jüngere Jan-Version.

„Du musst Lars sein", sage ich freundlich.

Lars erhebt sich von Nicks alter Couch und ergreift meine dargebotene Hand.

„In dem Fall bist du Lia. Freut mich, die Freundin meines Bruders endlich mal persönlich kennenzulernen."

Sein Grinsen unterscheidet sich kaum von Jans. Nur die Grübchen fehlen.

„Er hat dich also noch nicht in die Flucht geschlagen. Das ist entweder ein sehr gutes, oder ein sehr schlechtes Zeichen.", scherzt er und hebt eine halbvolle Bierflasche.

„Ich will doch hoffen, ein Gutes", erwidere ich lachend.

Er klopft auf den freien Platz neben sich und ich setze mich ohne großes Überlegen. Er bietet mir auch Bier an, doch ich verneine lächelnd. In dieser Hinsicht bin ich schon beinahe spießig. Weder rauche, noch kiffe, oder trinke ich.

„Mich interessiert es schon. Wieso genau er. Ich meine, er zieht Ärger praktisch magnetisch an. Klar, er ist ganz hübsch, aber Aussehen ist nicht alles."

Beinahe pruste ich los. So wie er es ausspricht, tönt es so, als wäre es absurd, dass ich mich seiner annehme. In den letzten Monaten habe ich mich die ganze Zeit gefragt, weshalb er Jan sich ausgerechnet mich ausgesucht hatte. Nicht umgekehrt.

„Na ja. Ich glaube, ich bin einfach sehr... risikofreundlich.", entgegne ich, froh darüber, ein passendes Adjektiv gefunden zu haben.

Lars nickt, scheinbar zufrieden mit meiner Antwort.

Er kneift die Augen zusammen und meint: „Du passt zu ihm. Ihr seid vollkommen unterschiedlich. Das tut ihm gut- Du tust ihm gut."

Ich erröte und lache verlegen. Auch wenn ich nicht ganz seiner Meinung bin, freut es mich doch, den Segen seiner Familie zu haben. Lars ist alles, was Jan an Familie noch hat. Außer vielleicht Niklas.

„Aber, Lia...?", holt er mich aus meinen Gedanken, „Wenn es sich vermeiden lässt, tu' ihm bitte nicht zu sehr weh, ja? Nach dem Vergangenen hat er echt mal zur Abwechslung was Gutes verdient."

Zwar habe ich keine Ahnung, was er genau mit dem Vergangenen meint, doch es hört sich alles andere als schön an.

Ich nicke, ergreife sein Bier und nehme, zu meiner eigenen Überraschung, einen tiefen Schluck. Wie ich erwartet habe, schmeckt es schal und ist ekelerregend warm.

Ich merke den Alkohol in Sekundenschnelle im Hirn. Wahrscheinlich wurde das Bier mit Wodka versetzt.

„Ich weiß, dass dein Bruder etwas Besonderes ist, Lars. Glaub mir, das weiß ich nur zu gut.", sage ich zu ihm, und spreche zugleich zu mir selbst.

„Na ja. Und die Tatsache, dass er ziemlich hübsch ist, bildet verständlicherweise das Sahnehäubchen."

Jan kichert los und lässt den Kopf in den Nacken fallen.

„Humor hat sie auch noch... Ich glaube sie ist ein Engel.", lallt er leise vor sich hin und ich schmunzle. Engel hat mich noch nie jemand genannt.

Den folgenden Gedanken sage ich nicht laut, weil ich mich dafür schäme, doch auf eine Art weiß ich, dass er der Wahrheit entspricht.

Falls jemals jemand in unserer Beziehung verletzt werden sollte, bin mit Sicherheit ich das.

Und wie Recht ich doch damit behielt.

Die Zeit danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt