64. Weg

3.7K 343 78
                                    

"Vergiss es!"

Fassungslos sprang ich auf und stolperte zurück, vom Bett weg, von Tim weg, bis ich gegen den Schreibtisch auf der anderen Zimmerseite stieß.

"Nein! Auf keinen Fall! Niemals! Vergiss es! Ich bin doch kein dummer Köter, der sich anleinen lässt!"

"Stegi, ich ...", setzte Tim an, doch ich ließ ihn nicht zu Wort kommen.

"Nein! Einfach nein! Für wen hältst du mich? Irgendeinen hirnlosen Omega, der alles mit sich machen lässt? Du kannst mich zu gar nichts zwingen!"

Natürlich konnte er. Tim war ein Alpha. Er konnte mich zu allem zwingen. Warum war ich so verdammt naiv gewesen?

"Bitte, hör mir zu."

Tim war aufgestanden und auf mich zugekommen, doch ich stieß ihn mit beiden Händen von mir weg und ließ ihn nicht weiter zu Wort kommen. Ich war enttäuscht.

"Wirklich? Ich hätte gedacht, du bist anders. Du warst doch all die Zeit nicht so? Warum willst du mich auf einmal unterwerfen? Ich bin doch nicht dein Besitz!"

Das erste Mal machte ich eine Pause, wuste nicht mehr, was ich sagen sollte. Hatte irgendwie alles gesagt. Ich wollte verstehen, warum er das tat. Warum er so war.

"Stegi, ich..."

Warum er wollte, dass ich ein Halsband trug.

"Du verstehst das falsch."

Dass ich nicht mehr sein Freund, sondern nur noch der an ihn gebundene Omega war. Sein Besitz.

"Bitte. Stegi."

Hatte ich etwas falsch gemacht?

"Ich dachte, du freust dich."

Hatte ich ihm doch nicht genügt?

Es tut mir leid. Wirklich?"

Nein. Was war aus mir geworden? Warum dachte ich darüber nach, nicht gut genug für ihn zu sein? Wurde ich zu einem der Omega, die nur noch ihrem Alpha dienten, um ihm alles recht zu machen? Ohne eigenen Willen? Ohne Selbstbewusstsein? Das war doch nicht mehr ich!

"Nein Tim. Hör auf. Sei still. Bitte. Du hast mich zu etwas gemacht, das ich nicht bin. Das ich nicht sein will. Ich will das alles nicht. Ich will nicht zu jemandem werden, der ... ich will nicht wie die werden."

Auch ohne es auszusprechen wussten wir beide, dass mit "die" all die Omega gemeint waren, die ich so sehr verachtete. Von denen ich dachte, dass auch Tim sie verachtete. Zu dem er mich anscheinend machen wollte.

"Stegi. Du bist nicht wie die. Und das wirst du nie sein.", versuchte der Alpha mich zu beruhigen. Der Alpha. Genau das war das Problem. Tim war ein Alpha. Er war einer von ihnen. Einer von denen, die mir so viele Jahre lang das Leben zur Hölle gemacht hatten. Einer von denen, wegen denen ich jeden Tag hatte kämpfen müssen. Einer von denen, die mich wieder und wieder schamlos ausgenutzt und zu Dingen gezwungen hatten, von denen ich am liebsten nie etwas gewusst hätte. Wie hatte ich darauf hereinfallen können? Tim war geschickter vorgegangen als alle anderen, hatte mich dazu gebracht, ihm freiwillig das zu geben, was er von mir wollte, aber im Grunde hatte er das selbe Ziel gehabt. Sie wollten alle das gleiche. Alle nur das eine. Sie wollten mich benutzen, mich quälen und am Boden sehen. Wie hatte ich Tim glauben können? Max' Bruder? Wie hatte er es geschafft, dass ich mich so sehr verliebt hatte, dass ich ihm von einen Moment auf den anderen blind vertraute? Und dass ich ihm, und das war das schlimmste, immer noch liebte? Ja, ich liebte Tim immer noch. Trotz dem, dass er mich zu dem machte, was ich so sehr verachtete. Ich war enttäuscht. Mehr von mir als von Tim. Vor ihm hatte ich Respekt. Ja, in diesem Moment vielleicht sogar schon ein bisschen Angst. Aber von mir. Wann war aus dem bissigen Stegi, der sich stets zur Wehr setzte dieser treudoofe Idiot geworden, der nicht mehr rational hatte denken können? Nein. Ich wollte das nicht. Ich war verliebt in Tim, das war mir bewusst. Aber weitaus wichtiger war mir meine Freiheit. Und da beides nicht ging, musste ich eines von beiden aufgeben. Wahrscheinlich war das mit Tim eh nur so eine Jugendschwärmerei. Meine erste und deswegen so stark. Deswegen fühlte es sich an, als würde ein Feuerwerk in mir explodieren, wenn ich Tim sah und deswegen war ich glücklich, sobald ich auch nur an ihn dachte. Deswegen hatten sich die letzten Wochen wie die schönsten meines Lebens angefühlt. Nur eine Jugendschwärmerei, meine erste Bindung. Mehr nicht. Keine Liebe fürs Leben. Hoffentlich.

"Stegi, bitte." Als ich bemerkte, was Tim machte, war es bereits zu spät und der Alpha legte seine Hände auf meine Schultern in dem Versuch, mich an sich zu drücken. Ich jedoch stieß ihn fest zurück, während Angst in mir aufstieg. Angst vor Tim.

"Nein! Lass mich! Ich will das nicht!"

Panisch drückte ich mich in Richtung Tür, während Tim beschwichtigend die Arme hob.

"Tut mir leid. Ich kann das nicht. Ich bin das nicht."

Mit diesen Worten verließ eine Träne mein Augen und energisch wischte ich sie mit dem Handrücken weg, bevor ich die Tür aufriss und aus dem Zimmer stürmte.

Mein Entschluss war gefallen.

Den Flur entlang, zur Haustür.

Meine Freiheit war mir wichtiger als Tim.

Meine Schuhe, die unter der Garderobe standen.

Ich war mir wichtiger als Tim.

Die Tür aufgerissen und die Treppe hinunter ins Freie.

Ich musste es ohne Tim schaffen.

Die Straße entlang.

Ich würde ihn vermissen.

Die Stimme, die nach mir rief, hörte ich schon nicht mehr.

Ich wollte nicht ohne ihn.

Immer weiter.

Konnte nicht ohne ihn.

Egal wo hin.

Es musste ohne ihn gehen.

Einfach weg.

Daunted and Broken ~ #Stexpert ~ #Kostory ~ #VenationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt