»Du legst dich jetzt gleich hin. Ich mache dir auch etwas zu essen und bringe es dir.«
Ich verdrehte die Augen.
»Tim, mir gehts gut. Ich muss mich nicht hinlegen.«
»Doch, musst du. Der Arzt meinte, du bräuchtest Ruhe. Du bist noch nicht wieder ganz fit.«
»Der Arzt hat gesagt, dass ich nicht sofort übertreiben soll. Aber nicht, dass ich strenge Bettruhe einhalten soll. Wenn ich noch so krank wäre, hätten sie mich niemals aus dem Krankenhaus entlassen.«
»Meinetwegen. Aber dann mach es dir wenigstens auf dem Sofa gemütlich und wir schauen gleich einen Film oder so.«
»Meinetwegen« Ich willigte ein, während Tim seinen Schlüssel aus der Tasche kramte und die Wohnungstür aufschloss. Er ließ mich vor sich in den Flur treten, wo ich sofort erleichtert grinste. Ich war froh, wieder hier zu sein. Bevor ich meine Jacke wie gewohnt an die Garderobe hängen konnte, nahm Tim sie mir lächelnd aus der Hand und hängte sie selbst auf, bevor er mich von hinten umarmte und mich so ins Wohnzimmer führte.
»Wann kommen Christian und Sascha nach Hause?«
Tim sah kurz auf sein Handy, um die Uhrzeit zu checken.
»In eineinhalb Stunden oder so kommt Sascha und auch Christian versucht, heute früher Schluss zu machen.«
Tims Väter hatten mich direkt an meinem zweiten Vormittag im Krankenhaus besucht und mir sogar Schokolade und ein Buch mitgebracht. Dazu, dass Tim bei mir war und nicht in der Schule, hatten sie nichts gesagt. Dafür hatten sie mir versichert, dass sie versuchen würden, Zuhause zu sein, wenn ich wieder entlassen würde. Die beiden sahen in mir inzwischen wohl so etwas wie einen dritten Sohn, zumindest behandelten sie mich wie ihre eigenen Kinder (wobei ich TIms Schwester ja immer noch nur von den Fotos kannte, die in der Wohnung herumstanden). Und auch wenn sie für mich niemals so etwas wie Eltern sein würden, so waren sie Tims Eltern und damit trotzdem irgendwie ein Teil meiner Familie. Meine eigenen Eltern hatten sich seit meinem Auszug nicht mehr gemeldet. Die letzten Nächte, wenn ich gezwungenermaßen alleine im Bett gelegen war und vergeblich auf Schlaf gewartet hatte, hatte ich viel über sie nachgedacht und war zu mehreren Schlüssen gekommen.
Meine Eltern hatten, wenn auch auf ihre Weise, immer nur das Beste für mich gewollt. Sie hatten gewollt, dass ich mich anpasse, nicht um mich zu unterdrücken, wie ich es immer gesehen hatte, sondern um mir das Leben zu erleichtern. Sie hatten mir immer eingeredet, ich solle mich nicht jedem Alpha verweigern, damit ich nicht an meinem achtzehnten Geburtstag auf der Straße landen würde, wie ich es dann ja auch fast wäre. Mich an meinem Geburtstag gehen zu lassen, musste ihnen unglaublich schwer gefallen sein und dennoch mussten sie es tun, um mir noch mehr Ärger mit der Polizei und dem Staat zu ersparen. Und dass sie sich seitdem nicht mehr gemeldet hatten - das schob ich auf den Schmerz. Sie versuchten, mich zu verdrängen, nicht immer an mich denken zu müssen. Vielleicht war das auch zum Teil meine Schuld. Ich hatte ihnen nie gesagt, wie es mir ergangen war, sie dachten immer noch, ich würde auf der Straße leben. Wüssten sie, dass es mir gut ginge, würden sie vielleicht aufhören, sich Vorwürfe zu machen und es wieder ertragen können, an mich zu denken. Vielleicht sollte ich mich doch einmal bei ihnen melden. Immerhin waren sie immer noch meine Eltern.
Ich hatte die Zeit, in der Tim in der Küche gewesen war, genutzt, um meine Gedanken kreisen zu lassen. Als er wieder ins Wohnzimmer kam, konnte ich nicht anders, als wie ein Idiot zu lächeln. Ein verliebter Idiot. Die nächsten Stunden verbrachten wir damit, kuschelnd auf dem Sofa zu liegen und einen Film nach dem anderen anzuschauen. Tims Väter kamen irgendwann beide heim und ihr erster Weg führte sie ins Wohnzimmer, um mich zu begrüßen. Beide schienen glücklich, ihren Sohn so verliebt zu sehen. Tatsächlich genoss ich jede Sekunde mit Tim und man konnte ihm ansehen, dass es ihm genauso ging.
Als ich irgendwann gegen Abend die Wohnungstür ein weiteres Mal hörte, konnte ich nicht anders, als mich leicht zu verkrampfen. Sofort strich Tim mir beruhigend über die Seite und drückte mir einen Kuss auf die Haare. Nur wenige Sekunden später erschien Max im Türrahmen und setzte sofort ein gehässiges Lächeln auf, als er uns sah.
»Na, wieder erholt von deinem ›Sturz‹?«, grinste er.
Ja, der Sturz. Die Version, die Tims Eltern und jeder andere kannten. Tim hatte seinen Vätern die wahre Geschichte erzählen wollen, aber ich war dagegen gewesen. Nicht, weil ich Angst vor Max hatte, nein. Warum, wusste ich selbst nicht einmal, aber ich wollte Max nicht so ans Messer liefern. Vielleicht würde er sich ja irgendwann ändern.
»Ich hoffe du hast dich gut erholt, wer weiß, wie lange noch«, flüsterte Max und es klang wie eine Drohung, obwohl er dabei unschuldig grinste. Nur seine Augen sprachen eine andere Sprache und glitzerten hinterhältig.
Nein, Max würde sich niemals ändern. Das wusste ich in diesem Moment mit Sicherheit. Aber dennoch, an den ersten Tagen, an denen ich im Krankenhaus gewesen war, hatte er ganz kleinlaut gewirkt und sich sogar mehrmals nach mir erkundigt, hatte Tim erzählt. Das hatte mir eines klar gemacht. Max tat all das nicht aus Bosheit, quälte mich nicht so sehr, um mich zu zerstören. Nein, er tat das, weil es einen seltsamen Reiz auf ihn hatte. Es machte ihm Spaß, der Stärkere zu sein und die Kontrolle über mich zu haben. Wie sehr er mich dabei verletzte war ihm wahrscheinlich nicht einmal klar. Und so ungreifbar ich die Vorstellung fand, Spaß an so etwas zu finden, so machte es seine Taten doch ein kleines bisschen verständlicher. Und so lange ich Tim an meiner Seite hatte, konnte ich damit leben.
Max würde sich niemals ändern, aber er gehörte nunmal auch zu Tims Leben. Und irgendwie inzwischen auch zu meinem. Mich würde wahrscheinlich jeder für verrückt erklären, aber würde ihm etwas zustoßen, so würde mich das nicht einmal freuen. Ja, vielleicht war ich verrückt. Aber ich konnte niemandem lange böse sein.
Nicht einmal Max.
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Daunted and Broken ~ #Stexpert ~ #Kostory ~ #Venation
أدب الهواةHauptnebenpairings: #Kostory, #Venation ~ Als Alpha ist es Tims Aufgabe, einen Omega zu finden, mit dem er für immer zusammenleben möchte und sich um ihn zu kümmern und ihn zu beschützen. Stegi jedoch hasst sein Schicksal, er möchte kein Omega...