72. Kaputt

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Ich hörte Tims leise Stimme von außerhalb des Zimmers, während seine Schritte im Flur auf und ab gingen. Ruhig sprach er immer wieder ein paar Sätze, bevor er kurz Pause machte. Er schien zu telefonieren. Irgendwann wurde es für einige Minuten wieder ruhig, bevor er erneut zu sprechen begann. Ich versuchte, Sätze herauszuhören und zu verstehen, doch es war zu leise. Inzwischen waren seine Schritte im Flur verstummt, dafür hörte ich einen Wasserhahn. Irgendwann gab ich es auf, die Geräusche zuordnen zu wollen und schloss erschöpft die Augen, darauf wartend, dass Tim endlich zurück kam.

Tatsächlich hörte ich kurz darauf seine Schritte wieder und die Tür, die er vorsichtig hinter sich anlehnte. Wieder senkte sich die Matratze neben mir und ich versuchte, mich aufzurichten, woraufhin Tim mir bedeutete, kurz innezuhalten. Er setzte sich neben mich auf das Bett und lehnte sich an die Wand hinter uns, bevor er mich auf seinen Schoß zog, so dass ich mich gut an seine Brust lehnen konnte. Das tat ich auch und nahm dankend den Becher an, den Tim mir in die Hand drückte und der leicht dampfte.

»Trink das. Tee mit Honig. Soll immer helfen, wenn es einem nicht gut geht. Das hat mein Papa mir früher immer gegeben, wenn ich krank war.«

Ich nickte und nippte vorsichtig an dem viel zu warmen Getränk. Tim schien zu merken, dass es noch zu heiß zum Trinken war und nahm es mir wieder aus der Hand. Ob er wohl Angst hatte, dass ich es sonst verschüttete? Er pustete vorsichtig in den Becher, woraufhin der Tee drohte, über den Rand zu schwappen. Minutenlang tat ich nichts als Tim zuzusehen, wie er den Tee abkühlte, der ihm mehr als nur einmal über die Hand schwappte. Irgendwann drückte er mir das nun kühlere Getränk wieder in die Hand und beobachtete mich dabei, wie ich es in kleinen Schlucken austrank, bevor er es mir wieder abnahm und auf den Nachttischschrank stellte.

»Leg dich hin, schlaf ein bisschen.«, forderte er mich liebevoll auf und schob mich im gleichen Atemzug ein Stück nach vorne, bevor er vom Bett aufstand und mich weiterhin stützte, während er mein Kissen ausschüttelte und aufklopfte. Sag mal, wie viele Arme hatte dieser Junge eigentlich, dass er das alles gleichzeitig schaffte? Bevor ich jedoch weiter über diese verstörende Vorstellung von Tim mit mehr als zwei Armen nachdenken konnte, kam ich seiner Aufforderung, mich hinzulegen, nach. Noch bevor ich ihn darum bitten konnte, legte er sich neben mich und ich kuschelte mich dankbar an seinen warmen Körper, während er die Decke über uns beide zog. Es dauerte keine fünf Minuten, ehe ich unter seinen gleichmäßigen Bewegungen, die über meinen Rücken strichen, eingeschlafen war.

Als ich wieder aufwachte, lag Tim nicht mehr neben mir und die Bettdecke lag zusammengeknüllt am Fußende des Bettes. Ein wenig benommen richtete ich mich auf und rieb mir verschlafen mit einer Hand über die Augen, während ich mich mit der anderen weiterhin auf dem Bett abstützte. Erst als ich Tims Stimme hörte, die lauter und verärgerter klang, als ich sie kannte, richtete ich mich komplett auf und stand, obwohl mir immer noch schwindelig war, vom Bett auf. Leicht benommen tapste ich zur Tür, die geschlossen war und öffnete sie vorsichtig.

Sofort hörte ich Tims Stimme lauter und eine weiter mischte sich darunter, die ich auch sofort unter hunderten erkannt hätte. Max. Erschrocken zuckte ich ein Stück zusammen und sah, wie Max' Mine sich beinahe unmerklich veränderte, als er mich in der Tür stehen sah. Auch Tim schien zu bemerken, dass etwas war, denn er drehte sich sofort zu mir um und lief mit schnellen Schritten zu mir, nur um sofort seine Arme um mich zu legen und mich an sich zu drücken.

»Denk daran.«, zischte er dabei in Max' Richtung, bevor er mich zurück in das Zimmer dirigierte und die Tür hinter uns ins Schloss zog. Ich sah zu, wie er den Schlüssel umdrehte, bevor er sich ganz mir zuwandte und mein Gesicht vorsichtig zwischen seine Hände nahm.

»Alles okay? Wie geht es dir? Du bist immer noch ganz warm.«, fragte er leise und ich lehnte mich schulterzuckend an ihn. Sofort legte er seine Arme um mich und drückte mich fester in der Umarmung.

»Ich bin total kaputt.«, erklärte ich ihm leise und spürte, wie er nickte.

»Es ist okay. Komm, leg dich einfach wieder hin. Ich habe mich um alles gekümmert. Max ist gerade von der Schule gekommen, er kommt aber nicht hier rein. Und auch im Rest der Wohnung wird er dir nichts tun.

»Was ist, wenn du nicht im Zimmer bist oder so?«, murmelte ich leise, woraufhin Tim mich ein weiteres Mal an diesem Tag hochhob und zum Bett trug. Erneut nahm ich zur Kenntnis, dass es ihn nicht im geringsten anzustrengen schien, mich durch die Gegend zu tragen.

»Keine Sorge, ich bin immer in Rufweite. Aber auch, wenn ich nicht direkt da bin, wird er dir nichts tun. Ich habe mit Max gesprochen. Er weiß, wie schlecht es dir geht und wird dich nicht anfassen. Er hat es versprochen.«

Ich nickte schwach. Warum machte Max das? Das passte nicht zu Max.

»Glaubst du ihm das?«, wollte ich von Tim wissen und zu meinem Erstaunen nickte er.

»Ja. Er ist trotzdem noch mein Bruder und ich glaube nicht, dass er da lügt. Aber ich lasse dich trotzdem nicht allein, keine Angst.«

Ich nickte leicht auf Tims Versprechen, auch wenn ich nicht daran glaubte, dass Max mich wirklich in Ruhe lassen würde.

»Danke«, murmelte ich leise, doch Tim winkte bloß ab.

»Nicht dafür«

Ich ließ dankbar zu, dass Tim mich erneut auf die Matratze bettete und sich neben mich legte. Wieder kam ich mir vor wie ein kleines Kind, das nichts alleine konnte und noch schlimmer war, dass ich mich auch so fühlte. Ich war einfach total fertig und wollte nichts anderes, als im Bett zu liegen. Und natürlich Tim neben mir zu haben. Mehr brauchte ich gerade nicht, um zufrieden zu sein.

Und genau mit diesem Gedanken schlief ich erneut ein.

Daunted and Broken ~ #Stexpert ~ #Kostory ~ #VenationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt